42. Komischer Tag

Weinfest am Stein

6. Juli

Lesezeit: 10 Minuten

„Hi, störe ich dich?“
„Äh, nein.“
„Du kannst es ruhig sagen wenn ich dich störe.“
„Tust du aber nicht.“
„Warum hast du dann gezögert?“
„Äh, glaub mir, du störst nicht.“
„Was hast du gemacht?“
„Ich war gerade dabei alle Amely Day Songs durchzuspielen.“
„Dann störe ich dich doch.“
„Äh, nein.“
„Du kannst es mir ruhig sagen wenn ich störe.“
„Was genau möchtest du denn hören?“
„Die Wahrheit.“
„OK. Du störst, du nervst und du gehst mir auf die Nüsse.“
„Wenn das die Wahrheit ist dann wäre das für mich ok.“
„Ist es aber nicht. Du störst nicht. Was gibt es denn?“

Eigentlich hätte ich sagen müssen „Lass uns auflegen. Ich ruf dich zurück und wir beginnen das Telefonat nochmal neu.“
Hätte ich.
Habe ich aber nicht.

So kam nach dem Stör ich? das Wie geht’s dir? und als wir endlich geklärt hatten warum solche inhaltsleeren Phrasen zu den übelsten Plattitüden nach Im Ernst? und Ehrlich jetzt? gehören, kam meine Bekannte zum eigentlichen Grund ihres Anrufes: Das Weinfest am Stein.

Alle Jahre wieder findet im Monat Juli am Weingut von Ludwig Knoll ein Hoffest statt. Seit über 30 Jahren spielen hier interessante neue Bands, die wie La Brass Banda, Jamaram oder 17 Hippies vom „Stein“ aus den Sprung auf große Bühnen geschafft haben.

Die Musikauswahl an den 13 Tagen reicht von Hip Hop über Reggae bis Brass und Funk. Dadurch reduzieren sich für mich die Abende, an denen es sich der Musik wegen lohnt hinzugehen, auf 2 bis 3 Tage.

Weingut am Stein

Ein Freund hatte per E-Mail bei mir angefragt, ob ich Lust hätte heute Abend hinzugehen. Es spielt Jaqee, eine aus Uganda stammende Sängerin die Rhythm and Blues beeinflussten Reggae macht. Ich hatte zugesagt und so wollen wir uns heute Abend mit allen Bekannten, die ebenfalls auf seine Mail-Anfrage geantwortet haben, um 19 Uhr vor der Getränkeausgabe treffen.

Meine Bekannte war mit den wenigen Informationen aus der Mail-Korrespondenz, die lediglich Auskunft über wer, wann und wo geben hat, nicht zufrieden. Sie wollte wissen warum die Leute die nicht zugesagt haben auch nicht kommen und ob nicht „hinten herum“ über andere Kanäle kommuniziert wurde.

Sie hatte die Organisation von Fahrgemeinschaften vermisst und meine Auskunft darüber, warum wir seit dem Tag, da jeder von uns ein eigenes Auto hat, nicht mehr nachfragen wer wen mitnehmen kann, hat dazu geführt dass sie plötzlich beleidigt war und das Gespräch beendete.

Ich habe mich auf die Couch gesetzt und mich gefragt, warum sie wissen wollte wer kommt und wer nicht. Wer mit wem zusammen fährt und wer nicht- sollten meine Antworten darüber entscheiden, ob sie eventuell auch kommt oder nicht?

Weinfest am Stein

Verdammt! Es ist 10:54 Uhr und um 11 Uhr habe ich einen Termin bei meinem Psychotherapeuten. Normalerweise reichen 15 Minuten bis ich in seiner Praxis bin. Ich rufe ihn an um Bescheid zu sagen dass ich mich verspäte.

„Ich mache mir Sorgen um Sie“ sagt er als ich ihm gegenüber auf dem Stuhl platz nehme.
„Was ist es heute, weshalb sie wieder zu spät kommen?“

Ich erzähle ihm kurz von dem Telefonat mit meiner Bekannten und muss beim Erzählen schmunzeln. Er sieht mich sehr ernst an.

„Das ist jetzt bereits der fünfte Termin in Folge an dem Sie zu spät kommen. Das ist nicht der Gerald den ich bei unseren ersten Terminen kennen gelernt habe. Der war immer sehr pünktlich.“
Das macht mich wütend und dann platzt es aus mir heraus:
„Als ich im vergangen Jahr ein paar Minuten zu spät zu einem Termin kam und mich dafür entschuldigte, haben Sie mir erwidert, dass ich mich nicht entschuldigen muss. Ich soll doch etwas lockerer werden. Es sei doch völlig normal wenn man ein wenig zu spät kommt. Da mir Pünktlichkeit aber wichtig ist und Ihnen scheinbar nicht so sehr, habe ich entschieden lockerer zu werden, nicht mehr so genau auf die Zeit zu achten und mich vor allem für etwas zu spät kommen bei Ihnen nicht mehr zu entschuldigen.“
„…dann möchte ich, dass Sie ab sofort wieder pünktlich kommen.“
„OK“ sage ich achselzuckend.

Um 18:45 Uhr bekomme ich eine What´s App Nachricht:
Sorry, verspäten uns um 10 Minuten.
Was soll ich sagen – alles ok – ich bin locker.

Weinfest am Stein

Ich werde von Freunden abgeholt. Gemeinsam fahren wird zum Weinfest am Stein.
Es herrscht am Einlass bereits ein großer Andrang. Als wir uns am seitlichen Eingang in die kleinere Schlange einreihen, werde ich von der Seite angesprochen.
„Bist du der Gerald?“
„Ja“
„Plessgott?“
„Ja“
„Ich bin die Schwester von der Kathrin!“
??
„Ich kenne deine Schwester von Früher!“
„Aha“
„Ich will nur mal schauen ob die Kathrin und die Elke schon da sind“
„Du bist die Schwester von der Kathrin!! Jetzt erkenne ich die Ähnlichkeit“
„Ich hab dich auch nur angesprochen weil du der Heike ähnlich siehst“
??
„Findest du, sie sieht so gut aus wie ich?“
(kleiner Scherz)
„Ja schon“
„Schau mal, da unten stehen Kathrin und Elke“
„Bin ich blind?“
„Weiß ich nicht. Schau mal da vorne am ersten Tisch“
„Wo? Ach da!“
„Ich zahl dann mal“
„Wir wissen noch nicht ob wir rein gehen“
??
„Eventuell erst einmal in Stadt was essen“
??
„Bis dann“
Ganz ehrlich. Heute ist ein komischer Tag. Und auch die Frauen sind heute irgendwie komisch. Und Vollmond ist auch. Aber an einen Zusammenhang glaube ich nicht.

Weinfest am Stein