41. Stille Signale

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4. Juli

Lesezeit: 12 Minuten

Martin arbeitet in Würzburg im Blindeninstitut und hat dort für Pearlgarden einen Auftritt beim Sommerfest organisiert. Eigentlich müsste ich bereits seit Tagen vor Freude hüpfend durch die Gegend laufen – endlich wieder live spielen – aber so wie die Stimmungslage aktuell bei Pearlgarden ist, kann ich mich einfach nicht richtig freuen.

Das Sommerfest wird in einer kleinen hügeligen Grünanlage, die inmitten der Wohnblocks angelegt wurde, ausgetragen. Die Bühne hat man in der Senke direkt neben dem Kiosk aufgebaut. Sie ist von zwei großen Pavillons überdacht. Ich parke am Rand der Grünanlage und lade mein Equipment aus.

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Das Schlagzeug steht bereits und während ich meine Gitarre und meinen Amp zur Bühne trage, sehe ich unsere Sängerin etwas abseits auf einem Hügel sitzen. ich begrüße sie und spüre eine leichte Nervosität bei ihr – aber auch jede Menge Energie und gute Laune. Sie ist einer der Gründe, warum es mir so schwer fällt diese Band zu verlassen.

Ein weiterer Grund ist natürlich Martin, der mich von seiner Freude und Begeisterung mit anderen Menschen gemeinsam Musik zu machen, völlig infiziert hat. Und so kann ich die negativen Dinge um mich herum, zumindest während wir gemeinsam musizieren, ausblenden.

Die ersten Gäste sind bereits eingetroffen. Sie haben sich einen Platz gegenüber der Bühne an einem der vielen Biertischgarnituren gesucht, die von mindestens acht Pavillons überdacht werden. Wenn ich die Tischreihen einmal grob überfliege wird mit mindestens 150 Gästen gerechnet.

Nachdem auch unser Bassist sein Equipment aufgebaut hat beginnen wir mit dem Soundcheck.

„Welche Songs wollen wir spielen?“ frage ich.
Die Ratlosigkeit die sich in ihren Gesichtszügen widerspiegelt ist frustrierend. Jedes einzelne Achselzucken ein Schlag in meine Magengrube.
„Wollen wir unseren Opener Dancing Barefood spielen?“
In Ermangelung eines Gegenvorschlags spielen wir den Song und nach zwei weiteren Stücken und einer kurzen Abstimmung des Gesamtsounds sind wir fertig mit unserem Soundcheck.

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Ich glaube es zahlt sich aus, dass wir bereits im Proberaum auf eine gute Soundabstimmung achten. Wenn unser Schlagzeuger sich bei Songs wie Born to be wild und Jumpin Jack Flash nicht zu sehr von seinen Emotionen leiten lässt und die Becken bis zum drohenden Tinitus bearbeitet, sollte es auch für das Publikum ein angenehmer Nachmittag werden.

Mittlerweile ist der Mann unserer Sängerin eingetroffen. Er hat eine neue Kamera dabei und wird unseren Auftritt filmen. Ich finde es unheimlich wichtig solche Aufnahmen zu haben, damit wir an unserer Bühnenperformance arbeiten und diese verbessern können.

Bis zum Auftritt ziehen wir uns in den Kiosk zurück. Dort ist es zum einen kühler und zum anderen gibt es erfrischende Getränke. Von hier aus hören wir auch wenig später die offizielle Begrüßung der geladenen Gäste durch die verantwortlichen Betreuer.

Das Sommerfest beginnt mit einer Gesangsperformance bei der sehbehinderte und körperlich beeinträchtigte Kinder ihre Lieblingssongs zum eingespielten Playback singen. Es berührt mich, diese unglaubliche Freude und Hingabe der Kinder und die Resonanz des Publikums zu sehen und zu spüren. Es ist etwas so herzliches, das von allen Beteiligten ausgeht, dass ich wieder mit den Tränen kämpfe.

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Dann ist es endlich so weit. Wir betreten die Bühne und während wir unser Equipment mit Strom versorgen, werden wir von der Leiterin des Festkomitees angekündigt.

„Wir freuen uns die Band PEARLGARDEN bei unserem Sommerfest begrüßen zu dürfen. Ein Bandenmitglied kennt ihr bereits – den Martin. Viel Spaß mit PEARLGARDEN!“
Applaus. Und los geht’s.

Dancing Barefood hat einen guten Groove und bei der Hookline doppelt Martin die von mir gespielte Melodie. Ich mag die Art wie wir die Nummer spielen, weil mich unser Solo-Gedudel ein wenig an die Band Wishbone Ash erinnert.

Bei Jumpin Jack Flash, Black Magic Woman und Get it On hüpfen, tanzen und singen die sehbehinderten und körperlich beeinträchtigten Kinder gemeinsam mit ihren Betreuern. Sie verspüren Glücksgefühle, wie sie in dieser reinen Form unter den sogenannten gesunden Menschen nicht mehr vorkommen. Körperlich und geistig gesunde Menschen können ihre natürlichen Gefühle erst mit steigendem Alkohol- und Drogenkonsum freilassen. Und hier belohnt man uns mit Lebensfreude pur. Es schnürt mir die Luft ab und zerquetscht mein Herz und obwohl es weh tut ist es dennoch schön.

Nach etwa einer Stunde bekommen wir von einer der Organisatorinnen einen dezenten Hinweis, dass wir für weitere Programmpunkte erst einmal unterbrechen sollen, aber in etwa einer Stunde noch einmal spielen können. Das kommt uns gelegen, da wir mittlerweile eine Nachmittagstemperatur jenseits der dreißig Grad erreicht haben.

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Während ein aus Betreuern bestehendes Gesangstrio die Zuhörer mit akustischer Gitarrenmusik unterhält, sitze ich mit unserem Bassisten auf einem kleinen Hügel im Schatten. Wir haben uns mit gut gekühlten Getränken versorgt. Ich nutze die Gelegenheit ihn nach ein paar privaten Dingen zu fragen, da wir uns privat kaum noch sehen und er vom Typ mehr der große Schweiger ist.

Während ich ihm zuhöre, entdecke ich unseren Schlagzeuger auf dem gegenüberliegenden Hügel. Ich weiß nicht was mit ihm los ist und ob sein ungewöhnliches Verhalten eventuell etwas mit mir zu tun hat. Seit ich von der Reha zurück bin hat sich etwas an seiner Art mir und vielleicht auch den Anderen gegenüber verändert. Diese Gereiztheit und die aggressive Art allen gegenüber, die es wagen ihm in seiner Meinung zu Wiedersprechen, wird immer unerträglicher.

Wir spielen unser zweites Set und sofort wird wieder getanzt und mitgesungen.

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„Hast du den Lukas gesehen?“ fragt mich ein kleiner Junge während Martin gerade das Solo zu Mighty Quinn spielt.
„Nein, wer ist der Lukas?“
„Der Lukas hat die rote Gitarre und die möchte ich jetzt auch mal haben, damit ich bei euch mitspielen kann.“
„Wie heißt du denn?“
„Ich bin der Bernd.“
„OK Bernd. Nach dem Song suchen wir die rote Gitarre.“
Am Ende des Songs werden wir von allen Gästen lautstark im a capella Teil unterstützt.
Come all without, come all within, you’ll not see nothing like the Mighty Quinn – das kennt wirklich jeder.

„Bevor wir zum nächsten Song kommen, habe ich eine kleine Suchmeldung für euch. Bei mir ist der Bernd und der sucht den Lukas weil der die rote Gitarre hat und der Bernd möchte gerne bei uns mitspielen.“

„Ich bring dir die Gitarre.“ höre ich eine Stimme aus dem Publikum.
„Der nächste Song ist wieder ein Klassiker von den Rolling Stones – Honky Tonk Woman.“

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Während wir den Song spielen bekommt Bernd die rote aufblasbare Gitarre gebracht und ich blicke in Augen die nichts sehen können und trotzdem vor Freude strahlen während er gemeinsam mit uns vor der Bühne abrockt. Ich zittere am ganzen Körper und höre unsere Musik wie aus der Ferne und in meinem Kopf beginnt ein Gedankenhurricane zu rasen. Mir wir schwindelig und schwummerig vor den Augen. Dann höre ich den Applaus.

„Großer Applaus auch für Bernd an der Gitarre“ sage ich während eine Betreuerin ihn von der Bühne holt.

Mit Save tonight beenden wir unser Konzert und die Zugabe-Rufe enden erst als wir versprechen noch zwei Songs zu spielen.

„Hat es euch gefallen?“ fragt die Leiterin des Festkomitees das Publikum und ein stimmgewaltiges Jaaaah bestätigt uns allen, dass wir Teil eines wunderbaren Festes sein durften, das jetzt zu Ende geht. Die verantwortlichen Betreuer bedanken sich noch einmal bei allen Künstlern und überreichen uns als kleines Danke schön eine Kiste Bier. Ich bin glücklich, weil ich so viel mehr bekommen habe man mit Geld kaufen kann. Und nachdem wir unser Equipment wieder in unsere Fahrzeuge verstaut haben, helfen wir noch beim Abbau der Pavillons und der Sitzgarnituren.

Wir verabschieden uns bei den Veranstaltern und fahren zurück zu unserem Proberaum. Beim Entladen vermissen wir unseren Schlagzeuger. Ich bin gespannt, wie lange wir es noch schaffen diese Signale weiter zu ignorieren.