27. Mai
Musik-Kreativ-Tage (letzter Tag)
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Gestern Abend habe ich mir noch einmal die Aufnahmen, die uns Alex per Dropbox zur Verfügung gestellt hat, angehört. Mit dieser „musikalischen Suppe“ habe ich mich ins Bett gelegt und bis heute morgen durchgeschlafen. Es ist ein so wunderbares Gefühl mit diesen Songs aufzuwachen, die Sonne hinter dem Vorhang zu spüren und sich auf einen neuen Tag voller Musik zu freuen.
Nach dem Frühstück treffen wir uns alle im Kammermusiksaal, um noch einmal die erarbeiteten Stücke für das Konzert am Abend durchzuspielen. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen haben, verteilt Steffen das Programm, das er ein letztes Mal überarbeitet und umgeschrieben hat.
Ich horche in mich hinein und spüre nur eine große innere Freude. Ich wundere mich über meine Gelassenheit und entdecke keine Spur von Nervosität. Ich fühle mich hier als musikalischer Amateur im Kreise der Profimusiker wohl, was mir ein Stück weit auch die benötigte Selbstsicherheit verleiht. Niemand lässt mich spüren, dass mein Gesang und mein Gitarrenspiel ungenügend sein könnten. Wir loben uns gegenseitig und sind mit dem was wir erarbeitet haben mächtig zufrieden.

Der Rest des Tages steht zur freien Verfügung. Martinello und ich beschließen bei dem schönen Wetter nach Hammelburg in die Innenstadt zu laufen um uns an der Eisdiele am Marktplatz mit einem Eis und einem Cappuccino zu belohnen.
Auf dem Fußweg, der vom Kloster Altstadt auf einem begrünten Fußgängerweg nach Hammelburg führt, lässt mich Martinello die Welt mit seinen Augen sehen. Während wir parallel zur Bundesstraße zur Brücke laufen, auf der man die Fränkische Saale überquert und in die Hammelburger Innenstadt gelangt, zeigt mir Martinello was es entlang des Weges zu Entdecken gibt. Ich bin begeistert von seinem Wissen über Kräuter, Blumen, Pflanzen und nasche von allem was er von der Wiese, den begrünten Hügeln und Büschen zupft.
An der gut besuchten Eisdiele finden wir noch einen Platz im Freien und während wir uns über unser bisheriges musikalische Wirken und Arbeiten unterhalten spüre ich die Unruhe in meinen Augen, die alle anwesenden Menschen abscannen möchten. Ich versuche die Empathie die mir Martinello entgegenbringt zu erwidern und schenke ihm meine ganze Aufmerksamkeit. Die Art wie er Musik versteht und lebt beeindruckt mich. Die im allerbesten Sinne kindlich naive Art Dinge einfach ausprobieren und mit ihnen spielen zu wollen, erzeugt bei mir einen starken Wunsch meine inneren Dämonen besiegen und meine Gelassenheit und Souveränität ganz schnell wieder zurückzugewinnen.


Wieder zurück an der Musikakademie mache ich mit Franz Josef „dem Volkstümlichen“ noch einen ausgedehnten Spaziergang. Wir laufen über den Kreuzweg zur Burg Saaleck um dort vom Aussichtsturm den traumhaft schönen Blick aufs Fränkische Saaletal zu genießen.
Gegen 19 Uhr treffen wir uns alle wieder im Kammermusiksaal um die Stühle für die Gäste ordentlich zu positionieren und unsere Getränke, die sich überall im Saal verteilt haben, wegzuräumen. Danach stimmen wir unsere Instrumente.
Zum Konzertbeginn um 20 Uhr sitzen circa 30 Gäste in dem für knapp 100 Besucher ausgelegten Zuschauerraum und Peter erzählt uns, dass in der hiesigen Tagespresse versehentlich eine falsche Uhrzeit für den Konzertbeginn angedruckt wurde.
Pizza-Brötchen, Sekt und Bier
Wir nehmen unsere Plätze ein und Steffen begrüßt das Publikum. Mir gefällt die Art, wie er das Publikum anspricht und das Gefühl vermittelt, als wäre der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Man nimmt ihm seine gezeigten Emotionen ab, wenn er sagt, dass wir uns freuen vor einem so tollen Publikum spielen zu dürfen. Es wirkt überzeugend und ich werde das für mich als Learning verbuchen.

Nachdem wir von Alex das Zeichen bekommen, dass alle Mikrofone offen sind, starten wir mit dem groovigen „Love Song“ von Michael und sofort verbreitet sich auf der Bühne und auch im Saal dieses Calypso-Feeling. Ich fühle mich immer noch total entspannt. Keine innere Unruhe. Keine Nervosität. Es fühlt sich an wie „Essen gehen mit guten Freunden“.
„Warum“ ist der nächste Song und ich bin mental auf den Refrain vorbereitet:
bügeln – Hemden bügeln – Socken bügeln – Warum?
Der Song läuft gut und die Leute scheinen ihn zu mögen. Im Publikum sehe ich Kuno sitzen der mich zufrieden angrinst und ich grinse zurück und denke:
bügeln – Hemden bügeln – Socken bügeln – nur nicht losheulen…
Für den Song „7.April“ verlasse ich die Bühne und suche mir einen Platz in der ersten Stuhlreihe. Von hier ist es ein viel ausgewogeneres Hören und ich bin wieder fasziniert von diesem tick-tack-tick-tack Bierflaschen-Rhythmus den Sven zu diesem Stück spielt.

Zurück auf der Bühne unterstütze ich Karan bei ihrem Song „Flaschenpost“. Ihre Lieder kommen beim Publikum gut an und bei dem traumhaft schönen „Tag und Nacht“, dem radiotauglichen Schmusi-Song, gibt es erstmals stärkeren Applaus.
Bei „San Antonio Rose“ stehen fast alle Zuhörer auf und tanzen und klatschen. Hätte ich nicht gedacht. War doch gut, dass wir dieses Stück mit ins Programm aufgenommen haben.
Bei „Rumda“, der experimentellen Performance von Andrea, bin ich gespannt wie das Publikum reagiert. Für mich ist diese Art der Kunst noch ein wenig fremd, doch das kunstverständige Publikum honorieren das Dargebotene mit wertschätzendem Applaus.
„Hinter mein Haisla“ reist alle von den Sitzen und es wird im Saal getanzt. Die Stimmung ist ausgelassen. Gut, das mein nächster Song erst nach der Sprechkantate vom Steffen kommt.

„Ein Stein weint nicht“ wird für mich zur Belastungsprobe. Die gedankliche „Bügelhilfe“ mag nicht so richtig funktionieren und den letzte Refrain singe ich mit sehr wackeliger Stimme. Ich flüchte auf meinen Platz im Zuschauerraum. Von hier aus fällt es niemanden auf wie ich bei „Der Traum“ mit der Singenden Säge, der Harfe und den Röhrenglocken mit maximaler Körperanspannung gegen meine Tränenattacke und dem Zittern am ganzen Körper ankämpfe.
Nach dem letzten Stück „Morgen muss ich fort von hier“ wird, wie erhofft, eine Zugabe gefordert und ich darf wieder auf die Bühne. Wir spielen noch einmal „Hinter mein Haisla“ und es wird wieder im ganzen Saal getanzt. Was für ein tolles Finale!
Wir lassen den Abend auf der kleinen Terrasse im ersten Stock mit Pizza-Brötchen, Sekt und Bier ausklingen. Und auch wenn keine weiteren Zuhörer mehr gekommen sind, war es für uns alle ein gelungener und erfolgreicher Abend – vor allem für mich….
