37. Was ist das denn?

meeresrauschen

25. Mai
Musik-Kreativ-Tage (Tag 2)

Lesezeit: 18 Min.

Seit 10 Minuten stehe ich unter der Dusche und mein Vertrauen in dieses Wunderwerk der Technik wächst minütlich. Es ist ein so schönes Gefühl wieder ohne unkontrollierbare Wechselwirkung von eiskalt zu brühend heiß, wie ich es wochenlang bei der Reha ertragen musste, duschen zu können. Würde mein Magen keine Hungersignale senden, ich würde die Dusche nicht mehr verlassen.

Der Speisesaal gleicht einer Jugendherberge. Eine große Ansammlung junger Menschen erfüllt den Raum mit Leben und Peter erzählt uns, dass der Audi-Jugendchor übers Wochenende in der Akademie probt. Dieses Nachwuchsprojekt von Audi bietet rund 80 Sängerinnen und -sänger im Alter zwischen 16 und 27 Jahren die Möglichkeit neben anspruchsvoller chorischer Arbeit auch eine individuelle Förderung. Ich bin schwer beeindruckt.

Nach dem Frühstück steht ein Umzug an. Wir ziehen mit unseren Instrumenten vom Übungsraum 17 in den Kammermusiksaal um, in dem wir am Samstag unser Abschluss-Konzert spielen werden.

Der Saal ist ein richtiger Konzertsaal wie man ihn von klassischen Konzerten kennt. Die Bestuhlung reicht für circa 80 bis 90 Zuschauer. Ich stehe vor der Bühne und beobachte die anderen Musiker wie sie sich wie selbstverständlich positionieren.

Die linke Seite beginnt im äußeren Halbkreis mit Rudolf und seinem Akkorden, der hinter seinem Stuhl seinen Kontrabass positioniert hat. Daneben Franz Josef mit Klarinette / Sopransaxophon, Kuno mit Trompete und Stefan mit seiner Querflöte. Zur Mitte hin abschließend, Peter mit der E-Gitarre und Ralf mit Dobro / Posaune / Singender Säge. Die Mitte wird von Martinello mit seinem E-Bass und Michel mit Hybrid-Sitar und E-Gitarren besetzt. Rechts auslaufend steht die große Konzertharfe von Julia und daneben ein schwarzer Konzertflügel. Damit ist der äußere Halbkreis abgeschlossen.

Der innere Halbkreis beginnt links mit Andrea, die eine kreative Performance vorbereitet und Karan mit ihren Akkustikgitarren. Ich überlege ob ich mich neben sie setze, merke aber dass es zu eng wird da Sven sein Cajon rechts von ihr platziert hat und nicht weiter zur Mitte hin rücken kann da hier bereits Martinello steht. Ich hole mir einen Stuhl und platziere ihn vor der Harfe.

„Find ich super dass du auf dieser Seite sitzt“ sagt Franz Josef II „dann bin ich nicht alleine mit meiner Gitarre.

Er holt sich einen Stuhl und stellt ihn hinter mich, direkt neben Harfe und Klavier.

Während Alex meine Mikrofone für Gitarre und Gesang positioniert und mit meiner Monitorbox verbindet rückt Steffen einen Stuhl neben mich und stellt seine Tuba darauf ab. Ich laufe in den Zuschauerraum und mache mit meinem iPhone erst einmal ein Photo.

Nach dem Mittagessen beginnen wir mit den Proben. Die Texte für meine Songs die ich auf einen USB-Stick mitgebracht habe, hat mir heute morgen Peter in seinem Büro ausgedruckt. Ich lege sie auf einen der Tische, die den Saal zu beiden Seiten flankieren, aus. Das Interesse scheint groß, denn die meisten Musiker holen sich jeweils einen Ausdruck.

Nachdem alle wieder Platz genommen haben starten wir mit meinem ersten Song „Warum“.

„Der Song ist relativ einfach zu spielen. Er lebt vom Refrain, bei dem hoffentlich alle mitsingen und drei Solis, die jeweils nach dem Refrain kommen. Wer hätte denn Lust mich mit einem Soli zu unterstützen?“

Mein Blick fällt auf Stefan mit seiner Querflöte und ich denke unwillkürlich an Jethro Tull.
„Das wäre richtig toll wenn du Lust dazu hättest.“
Er sagt zu und ich schaue rüber zu Rudolf.
„Dein Akkordeon könnte ich mir auch super vorstellen.“
„Mei kloar, des moch i gern“ sagt er in seinem oberbayerischen Dialekt.
Peter schlägt für das dritte Solo den Michael mit seiner Hybrid-Sitar vor. Michael ist einverstanden und wir können anfangen.

Ich spiele die ersten Akkorde und Martinello steigt wie gewohnt am Bass mit ein. Sven findet sofort einen passenden Rhythmus und ich bin begeistert.

Erste Strophe, Bridge, Refrain und alle singen mit. Ich höre das Akkordeon das einen traumhaften Klangteppich unter den Refrain legt, höre weitere Gitarren und will meine Gefühle bereits in ein zuckersüßes Meer aus Tränen betten, da startet Stefan mit seinem Querflöten-Solo.

Oh weh, was ist das denn? Dem Virtuosen fehlen die Noten und eine Improvisation scheint ihn gerade ein wenig zu überfordern. Ich spüre eine innere Bewunderung für Martin der bei meinen Songs seine Gitarren-Soli so federleicht aus dem Handgelenk schüttelt.

Zweite Strophe, Bridge, Refrain. Es packt mich schon wieder. Wasserhochstandsmeldung in der Augenhöhle! „Warum, oh warum“ singe ich und der Refrain passt so wunderbar zu meiner inneren Zerrissenheit. Das Akkordeon-Solo beginnt und auch Rudolfs spontane Improvisationskunst reicht nur für ein paar Töne die sich vorsichtig am Refrain orientieren.

Dritte Strophe, Bridge Refrain. Ich höre Klavier, Dobro und ein paar Töne von der Sitar. Ein richtiges Solo ist das noch nicht wirklich. Finaler Refrain. Wir werden langsam leiser. Ein letztes Warum und ich bin mega glücklich.

„Das ist so schön“ sagt Karan und ich frage mich wie lange ich das noch aushalte bis bei mir alle Dämme brechen und ich vor lauter Freude und Glückseligkeit einfach losheule.

„Ihr könntet im Refrain ein Frage – Antwort Spiel machen“ sagt Kuno.
„Warum?“ fragt Rudolf mit schelmischen Grinsen.
„Darum“ antwortet Ralph und alle Lachen.

Ich finde das gut und wir beschließen den finalen Refrain mit Warum, gesungen von mir und Darum, als Antwort des Orchesters im Wechsel ausklingen zu lassen.

Ein Stein weint nicht“ sage ich und kündige damit den nächsten Song an.
„Ich mag Suppe“ sagt Rudolf und alle lachen.
Ich finde das fantastisch, dass sich alle an die erste Zeile des Songs erinnern.

„Auch dieser Song hat wieder drei Soli.“
Ich schaue in die Runde und Michael möchte das erste Solo haben. Für das zweite Solo meldet sich Franz Josef auf der Klarinette.
„Die Dopro könnte noch ein Solo übernehmen“ sagt Kuno und Ralf ist einverstanden.
„OK“ sage ich „dann lasst uns die Suppe einmal versuchen.“

Ich beginne mit den Akkorden der Strophe. Martinello und Sven steigen ein und ich singe die erste Zeile: Ich mag Suppe … Verdammt – ich habe vergessen weiter zu singen und breche ab.
„Ich mag doch keine Suppe“ sage ich und alle schütten sich aus vor Lachen.
„Ich würde das Vorspiel weglassen und gleich a capella mit der ersten Zeile beginnen meint Kuno. „Das wäre mal was anderes und ich glaube das passt gut zu dem Stück. Das Orchester sollte auch erst mit der zweiten Strophe einsteigen. Wie heißt die nochmal?“
„Ich mag Geschenke“ sage ich.
„OK, dann alle auf Geschenke“.
Zustimmendes Gemurmel aus der Runde. Ich bin nicht begeistert, will es aber versuchen.

Ich mag Suppe,
so wie sie meine Mutter immer gekocht hat,
wenn sie an meinem Bett saß weil ich krank war,
und sich um mich gesorgt hat bis ich gesund war

Das ist toll! Durch diesen Einstieg verlagert sich die Aufmerksamkeit weg von der Suppe hin zur kompletten Strophe – Danke Kuno!

Ansonsten läuft der Song wie das Lied zuvor. Ich kämpfe im Refrain mit den Glücks- und Freudentränen, den Soli mangelt es noch ein wenig an Kreativität und mir macht es riesigen Spaß mit diesen Menschen zu musizieren.

Nach der Kaffeepause steht „Hinter mein Haisla“ auf dem Programm. Die Akkordbegleitung läuft über eine I-IV-V Kadenz und so spielen wir das Stück mit Svens rhythmischer Begleitung wie einen Shuffle das durch die Dobro-Gitarre, die Ralf spielt, eine Art Südstaaten-Touch bekommt. Klingt irgendwie wild und harmoniert nicht wirklich mit der Klarinette die im Solo die Gesangslinie spielt.

Franz Josef ist diese Version auch zu modern und wir lassen im nächsten Durchlauf die instrumentale Begleitung bei der ersten und letzten Strophe wieder weg und singen diese a capella.

„Irgendwas fehlt noch“ meint Kuno. „Irgend so ein musikalischer Aha-Effekt“.
Wir lassen das Stück für heute so stehen, da auch das Zeitfenster für die erste Probe abgelaufen ist.

Ich stelle meine Gitarre zur Seite und suche mir einen Platz im Zuschauerraum. Es beginnt die Probe für „Morgen muss ich fort von hier“ das a capella vorgetragen werden soll. Die Stimmen aller Beteiligten harmonieren wunderbar miteinander und da ich an diesem Projekt nicht aktiv mitwirke genieße ich das Stück als Zuhörer.

Nach Franz Josef dem Volkstümlichen kommt Franz Josef II der ein Gedicht mit dem Titel „Unterwags“ als Turnaround Song vertont hat. Peter, Karan und ich unterstützen das auf Bass und Cajon aufgebaute Fundament mit unseren Gitarren und bereits nach dem ersten Durchlauf steht das Stück.

„Ich könnte mir ein Bläsersolo vorstellen, das die Gesangslinie in einer zusätzlichen Strophe wiederholt.“ sagt F.J.II
„Kannst du bekommen.“

Wir spielen das Stück noch einmal durch und als Trompete, Posaune und Sopransaxophon einsetzen bekommt der Song dieses spezielle Feeling, das beim hören einer Musik CD den Zeigefinger unkontrolliert Richtung Repeat-Taste wandern lässt.

Karan greift zu ihrer 6-seitigen Bass Gitarre und ich freue mich darauf, sie mit Sven und der gesamten Saiteninstrumente-Fraktion begleiten zu dürfen.

Die Strophen, die auf einen Basslauf über dem Dm-Akkord aufgebaut sind, ziehen mich magisch in den Bann. Der Refrain gleitet butterweich durch meine Gehörgänge und als Martinello mit seiner Blues-Harp einsteigt, schließe ich die Augen und genieße dieses schöne Gefühl das sich wie Kuscheln nach dem Sex anfühlt.

Und weil ich gerade so tiefenentspannt am Gefühle fühlen bin, merke ich leider ein wenig zu spät dass wir bereits wieder in der Bridge zur Strophe sind. Ich höre auf mitzuspielen, orientiere mich neu und steige wieder ein. Was für ein toller Song.

Jetzt kommt Michael mit seinem selbstkomponierten Stück das den Titel „7.April“ trägt und ich ziehe mich wieder in den Zuschauerbereich zurück. Der Song ist ein Instrumentalstück das alle Beteiligten aufgrund eines 7/8tel Taktes zum Takt mitzählen zwingt.

Julia beginnt auf der Harfe mit dem Grundthema. Michael steigt ein und legt mit seiner Hybrid-Sitar ein zweites Thema darüber. Jetzt kommt Martinello der Julias Thema mit dem Bass aufgreifen soll. Aber irgendwie ist keine klare Melodie mehr zu hören und Michael bricht ab.

Neuer Anfang. Ich blicke in lauter hochkonzentrierte Gesichter. Vor allem Martinello, der Musik fühlt und sein Spiel aus dem Bauch heraus entwickelt steht wie versteinert da. Sven versucht mit einem zweier Wechselschlag ins Stück zu finden und weil er auf der Suche nach einem passenden Rhythmus so gar nicht fündig wird, fragt er nach wie ein 7/8tel Takt zu zählen ist und bekommt als Antwort: „1-2-3-4-5-6-7“ woraufhin alle kräftig lachen.

Nächster Durchlauf. Die Harfe kommt mit einer für meine Ohren gewagten Bridge, die zum Harfen-Thema hinführt. Danach Sven mit einem rhythmischen Wechselschlag und mit ihm Trompete und Posaune die einen Klangteppich aus den drei Oktaven höher gespielten Basstönen knüpfen. Das ist so unglaublich dynamisch im Aufbau und ich bin voller Erwartung auf das Grande Finale – Pauken wäre jetzt der Knaller.

Statt der Pauken gibt Michael ein Zeichen an die einzelnen Musiker sich auszuschleichen und er beendet das Stück mit Harfe und Gitarre. OK. Auch nicht schlecht.

Nach dem Abendessen zieht es mich noch einmal in den Kammermusiksaal, da jetzt zwei Stücke mit kleiner Besetzung geprobt werden. Das erste Stück ist von Johann Sebastian Bach. Stefan stellt sich mit seiner Querflöte in die Mitte der Bühne und erzählt uns etwas über die Zeit in der Johann Sebastian Bach gelebt und gewirkt hat. Er beschreibt das Stück als „Musik für eine Brotzeit“ und wir lauschen dem kurzen, aber sehr eingängigen Stück.

Mit ihm auf der Bühne sind Sven, Franz Josef II und Michael. Stefan teilt das Stück in zwei sich voneinander abhebende Teile auf. Der erste Teil soll von Franz Josef II mit einfachen Abschlägen auf der Gitarre nach einem kurzen Intro begleitet werden. Sven steigt zwei Takte später ein. Das ganze soll sich rhythmisch wie entspanntes spazieren über eine grüne Wiese anfühlen.

Im zweiten Teil wechselt der Rhythmus. Franz Josef II spielt einen Wechselschlag als würden sich Menschen freudig zum Takt im Kreise drehen. Ich sehe diese Szene vor mir. Eine vergnügte Gesellschaft illustrer Menschen unternehmen eine Landpartie. Mit dem Picknickkorb im Arm laufen sie über eine grüne Wiese, machen Rast, verzehren etwas und tanzen vergnügt zur Musik. Die Stimmung wird immer ausgelassener. Plötzlich geraten zwei um eine Frau buhlende Rivalen aneinander. Sie streiten und der schöne Nachmittag verliert seinen Glanz. Zack Bum und Ende.

Ralf und Julia kommen mit ihrem „Traum“. Ein Stück für Harfe und singender Säge. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück. Julia beginnt und als Ralf mit der Säge einsetzt jagen Glücksschauer durch meinen Körper und ich kämpfe wieder gegen meine Tränen an. Mein Leben hat seine Normalität verloren und ich frage mich wie ich das Konzert am Samstag ohne peinliches herum heulen überstehen kann.

Auf der Bühne sind jetzt nur noch Karan und Sven, die mit ihrer Band Singvögel bereits seit 2006 gemeinsam mit dem Schauspieler und Gitarristen Duke Mayer Musik machen. Die beiden spielen einen Song der stilistisch wie „Die Flaschenpost“ klingt.
„Der Song ist wunderschön“ sagt Michael. „Den müssen wir ins Programm für Samstag mit aufnehmen.“
Allgemeine Zustimmung im Saal und das zurecht.
„Toller Song“ sage ich.
„Freut mich, dass euch der Song gefällt. Er heißt >Tag und Nacht<“
„Die zwei Songs klingen so gar nicht nach dem was ich von Singvögel auf YouTube gefunden habe“ sage ich und Karan erklärt mir, dass sie mit Sven ein neues Projekt am Start hat, das unter ihrem Namen Karan läuft. Es ist Musik der leisen Töne und die Texte sollen an vertonte Gedichte erinnern. Mir gefällt das.

„Morgen kommt Julia mit einem Stück, das sie für Harfe und Alphorn geschrieben hat“ erzählt uns Peter, der sich zu mir, Steffen, Ralf und Michael gesellt hat.
„Wer spielt das Alphorn?“ frage ich.
„Der Kuno natürlich. Der spielt doch alles was man irgendwie in den Mund nehmen kann.“
Alle Lachen.

Karan kommt zu uns rüber und spricht Ralf auf die singende Säge an.
„Ist das eine handelsübliche Säge wie man sie im Baumarkt kaufen kann?“
Ralf lächelt.
„Ja klar, das ist eine völlig normale Säge aus dem Baumarkt. Ich hab nur die Zähne abgeschliffen, damit man sich beim spielen nicht verletzt“.
Er grinst dabei irgendwie komisch, blinzelt mit den Augen und wir verstehen, dass es nicht so ganz die Wahrheit ist.
„Nein, das ist natürlich keine handelsübliche Säge. Die wäre viel zu massiv und liesse sich nicht richtig biegen. Eine handelsübliche Zwei-Mann-Säge hat eine Blattdicke von 1,5 mm. Meine Sägen haben eine Blattdicke von 0,9 mm und einen Tonumfang von Eb1 bis Bb3. Gespielt werden sie mit einem Violin- bzw. Violabogen.“

Während Karan am austesten der Säge ist, verschwindet Steffen und kommt zehn Minuten später mit einem Theremin zurück. Ich kenne das Theremin aus der Serie „Big Bang Theorie“ in der Sheldon Cooper seine Freunde mit diesem Instrument tonal quält. Und jetzt ist es Karan die versucht durch den Abstand ihrer Hände zu den Antennen Tonhöhe und Lautstärke berührungsfrei so zu beeinflussen, dass die entstandenen Töne eine Art Melodie ergeben.

OK, schön ist etwas anderes, aber ich bewundere diese fast schon kindliche Freude mit der sie das Instrument austestet. Ich wünschte ich könnte auch diese gelassene Unbeschwertheit genießen und wieder neugierig sein und Leben – einfach wieder Leben.