24. Mai
Musik-Kreativ-Tage (Tag 1)
Lesezeit: 8 Min.
Würzburg ist verkehrstechnisch dicht. Wir versuchen irgendwie aus der Stadt zu kommen, da wir spätestens um 17 Uhr an der Bayerischen Musikakademie erwartet werden. Ich freue mich und grinse wie ein Maikäfer, während wir irgendwo unterhalb der Uniklinik in einer Seitengasse festhängen – ein entgegenkommender Bus versperrt den Weg.
Martinello erzählt mir etwas von seiner musikalischen Vergangenheit: bereits in den 70er Jahren hatte er gemeinsam mit einem Freund experimentelle Projekte mit einem Rekorder und einem Aufnahmegerät durchgeführt. Aufgenommen wurden dabei Telefonate mit Menschen, deren Telefonnummer willkürlich aus dem Telefonbuch gewählt wurde. Am liebsten starteten sie diese Aktion zu Zeiten in denen ein wichtiges Fußballspiel im Fernsehen lief. Die Aufnahmen, die zur Untermalung von gesammelten Filmschnipseln dienten, hatten dann eine besondere Intensität. Wie cool ist das denn!

Mit fast einer Stunde Verspätung trafen wir an Musikakademie ein. Nach dem Einchecken und einem ersten kurzen Kennenlernen bei einem gemeinsamen Abendessen treffen sich alle Teilnehmer im Übungsraum 17.
Beim Betreten des Raums möchte ich weinen vor Glück: ein Raum voller Instrumente und technischem Equipment! Ich sehe eine riesige Harfe, ein Akkordeon, einen Kontrabass, ein Klavier, ein Schlagzeug. Musiker die ihre Instrumente einspielen und stimmen und jemanden der Kabel verlegt und Mikrofone positioniert.
„Bist du auch zum ersten Mal dabei?“ höre ich eine Stimme neben mir.
„Ja“ sage ich kurz zu einem Mann meines Alters der sich mir als Rudolf vorstellt und mich freundlich anlächelt.
Rudolf spielt Akkordeon und Kontrabass und kommt aus der Volks- und Kirchenmusik. Er beschreibt sich als ein musikalischer Perfektionist mit hohen Ansprüchen und ich spüre mit jedem Satz, dass er Musik liebt und für sie lebt.

Nachdem jeder Teilnehmer seinen Platz eingenommen hat werden wir von Peter Näder, dem Popularmusikbeauftagten des Bezirk Unterfranken, begrüßt und auf die Musik-Kreativ-Tage eingestimmt. Dann folgt eine kurze Vorstellungsrunde in der wir erzählen wer wir sind, welche Instrumente wir spielen und was wir an musikalischem „Material“ mitgebracht haben.
„Ich heise Gerald, bin Singer/Songwriter, spiele mit Martinello in einem gemeinsamen Projekt das sich Amely Day nennt und habe eigene Songs mitgebracht.“
„Hey das ist ja super. Ich heise Karan und habe ebenfalls eigene Songs mitgebracht. Da freue ich mich schon auf die Zusammenarbeit.“
Karan erzählt von ihrer Band Die Singvögel und dass später noch der Drummer mit dem sie gemeinsam Musik macht und der heute Abend mit einer anderen Band ein Konzert spielt zu uns stoßen wird.

Peter notiert für mich zwei Songs als Projektarbeit und nachdem die Vorstellungsrunde abgeschlossen ist, terminieren wir die vorgestellten Projekte und die jeweiligen Musiker die daran teilnehmen möchten.
„Welchen unserer Songs würdest du gerne neu arrangieren wollen?“ frage ich Martinello.
„Ein Stein weint nicht.“
Kaum ausgesprochen haben wir die Aufmerksamkeit der Gruppe, weil die Doppeldeutigkeit des Titels erkannt wurde.

„Spiel uns den Song doch einmal vor“ sagt Kuno, der Leiter der Akademie und da lasse ich mich nicht zweimal Bitten.
Ich starte meinen Laptop, rufe den Song auf, schaue zu Martinello rüber der seinen Bass an den Verstärker anschließt und nachdem Alex, der Tontechniker, mir ein Mikro für die Gitarre und eines für den Gesang aufgestellt hat, legen wir los.
Beim zweiten Refrain singt die ganze Runde bereits mit. Ich kämpfe gegen meine Tränen an und frage mich ob dieses emotionale Desaster denn niemals aufhören wird.

Karan, die ebenfalls ihren Song vorstellen darf, hat für alle Teilnehmer Kopien mitgebracht. So kann jeder, der ein Rhythmus-Instrument spielt ihren Song „Die Flaschenpost“ mit begleiten.
Zunächst aber interessieren sich einige für ihr mitgebrachtes Instrument: ein 6-seitiger Fusion Classic Bass, der wie eine Gitarre gestimmt ist, nur eben eine Oktave tiefer.
Ich bin begeistert und als sie mit dem Song beginnt weiss ich bereits, dass ich dieses Instrument ebenfalls haben muss!
Karan hat eine schöne Singstimme, die wunderbar melancholisch über den Basslauf auf dem D-Moll Akkord schwebt. Das Stück hängt mir jetzt schon im Ohr und ich spüre Unsicherheit und Selbstzweifel wegen meiner eigenen Stimme.

Franz Josef, der in unserer Runde den Bereich „Volksmusik“ vertritt hat auf der Projektliste für Morgen zwei Stücke die er gerne mit uns singen möchte. Martinello und ich schauen uns skeptisch an. Das erste Stück heisst „Hinter mein Haisla“ und wurde von einem Komponisten aus Marktredwitz geschrieben, der Gegend aus der mein Vater stammt.
Franz Josef stimmt das Lied an und sofort singen alle mit. Das Stück macht richtig Laune und erinnert mich an die TV-Sendung Wirtshausmusikanten beim Hirzinger. Die Melodie ist sehr eingängig und während ich freudig beschwingt mitsinge, spüre ich wie mir das Wasser in die Augen schießen will.
Warum?
Muss ich das jetzt verstehen?
So war das auch vor ein paar Wochen bei einem Konzert von vier Finnischen Mädels in Bad Schwalbach. Ich musste permanent gegen meine Tränen ankämpfen und habe dabei am ganzen Körper gezittert.
Was schlummert da in meinem Unterbewusstsein?
Jetzt nur nicht losheulen.
Nein, nein, nein, nein, nein.
Ich denke an Pizza Rucola mit Parmaschinken bei Nunzio.
Das hilft.
Tränenfluss wieder einmal gestoppt.

Das zweite Lied heisst „Morgen muss ich fort von hier“. Dieses Lied war das letzte Lied das die Comedian Harmonists bei ihrem letzten gemeinsamen Auftritt gesungen haben, bevor sie sich aufgrund der damaligen politischen Lage trennen mussten.
Alle sind berührt und ich erinnere mich an die Szene im Film über die Comedian Harmonist. Wir singen das Lied und ich bin begeistert von Franz Josefs Liederauswahl. Volksmusik rockt!
Der erste gemeinsame Abend geht zu Ende. Es ist kurz vor 23 Uhr und während ich mir ein letztes Glas Fränkischen Rotling einschenke erscheint Sven, der angekündigte Schlagzeuger.

Er packt sein mitgebrachtes Cajon aus und befestigt an den Seiten mit Klettband Percussion-Zubehör. Ich muss mir das genauer ansehen und frage Sven was er an Equipment mitgebracht hat.
Das Cajon ist ein Omega Master von J.Leiva. Die Schlagfläche besteht aus aeronautischer Carbonfaser und der Snareteppich ist 4-fach stimmbar. An den Seiten ist Zubehör der Firma Schlagwerk. Sven gibt uns eine Kostprobe seines Könnens. Der Heck-Stick ONE klingt wie eine Hi-Hat und auf der anderen Seite hat er die Kombination aus Heck-Stick und Side-Kick. Das klingt alles verdammt gut. Ich freu mich auf morgen. Vor allem aber auf meine Songs, wenn sie zum ersten Mal rhythmisch begleitet werden.