35. Sechs Wochen später

schildkröte

24. Mai

Nachdem mein iPhone seit 45 Minuten permanent und fast schon im 3-Minuten-Takt die gechillten Songs von ZZ-Top mit dem Hinweiston für eingehende WhatsApp Nachrichten stört, fahre ich auf den nächsten Autobahnrastplatz um nachzusehen was es Neues und Wichtiges in meiner Community gibt.

Alle Nachrichten kommen aus nur einer WhatsApp Gruppe: Pearlgarden. Das bedeutet nichts Gutes. Während ich den Nachrichtenverlauf überfliege, spüre ich schon wieder diese unkontrollierte verbale Aggressivität unseres Schlagzeugers. Dabei bin ich gerade einmal zwei Fahrtstunden von meiner „Love & Peace“ REHA entfernt und wollte solche negativen Schwingungen gar nicht mehr an mich heranlassen. Ich ziehe die ZZ Top-CD aus dem Player und lege mir mit TRIVIUM feinsten Thrash-Metal auf´s Ohr.

R: können wir nächste Woche auch an einem anderen Tag proben?
  P: bei mir geht jeder Tag
    D: kann am Mo auch nicht. Bei mir geht nur Mi und Do
R: geht bei mir beides
      M: bei mir geht nur Mo und Fr
  P: dann Mo oder gar nicht
R: vielleicht sollten wir überlegen ob das überhaupt noch Sinn macht
  P: da hast du recht
      M: haben wir noch etwas anderes außer Terminprobleme? Mir hat das immer Spaß mit euch gemacht
  P: nein, wir sollten nur schauen dass wir wieder einmal proben können
    D: ich möchte nicht dass das unklar ist. Ich kann nächste Woche nicht weil ich für meine Magenspiegelung am Mo Blut abgeben muss und weil ich in meiner Firma die Zeit nacharbeiten muss schaffe ich es nicht zur Probe
  P: OK

Einem spontanen Gedanken folgend, rufe ich, auf Höhe des Frankfurter Flughafens, bei meinen Eltern an und frage ob sie Zeit für mich haben. Natürlich haben sie Zeit und freuen sich auf meinen Besuch.

Eine Stunde später sitzen wir bereits auf der Terrasse und genießen, bei traumhaft schönem Wetter, frisch gebrühten Kaffee, leckere Dinkel-Brötchen, selbstgemachte Marmelade, saftigen Bio-Schinken und Käse und als Krönung ein perfekt gekochtes Frühstücksei. Nicht, dass ich etwas schlechtes über die Küche in der Klinik sagen möchte, aber dass hier ist für mich heute einfach „Champions-League“.

Da ich nur eine gute Stunde Zeit habe bis ich weiterfahren muss, beschränke ich mich bei meinem Reha-Bericht auf meine persönlichen Highlights. Ich zeige ein paar Fotos auf dem iPhone und erzähle von den liebenswerten Menschen die ich kennenlernen durfte. Dann fahre ich weiter, zur Praxis meines Hausarztes.

Er freut sich mich zu sehen und wirkt dann doch etwas überrascht, als ich ihm von den noch immer vorhandenen Symptomen meiner festgestellten Depression erzähle. Mir scheint, als hätte er meine gesundheitliche Situation ein wenig unterschätzt und war der Meinung gewesen, ein paar Wochen der Erholung würden ausreichen damit ich wieder fit für meinen Job bin. Mit einer Krankmeldung für die nächsten vier Wochen fahre ich nach Hause.

Beim Betreten der Wohnung fällt mein Blick sofort auf mein Sofa. Dort hat eine Bekannte, alles was in den letzten sechs Wochen im Briefkasten war, sorgfältig aufgefächert. Ein kurzes Sichten der Post genügt um zu sehen welche Kuverts ich öffnen sollte und welche liegen bleiben können. Ich bin total begeistert!

Eigentlich würde ich mich jetzt gerne aufs Sofa setzten und bis zum Einschlafen in den Fernseher starren. Die Zeit habe ich aber nicht. Um 16 Uhr muss ich in Würzburg Martinello abholen. Wir fahren nach Hammelburg zu den Musik-Kreativ-Tagen. Das heißt, es bleiben mir noch knapp vier Stunden um die wichtigsten Dinge zu erledigen.

Ich räume meinen Koffer aus, packe meine Sporttasche, aktualisiere die Updates auf dem Macbook und dem iPhone, kaufe ein paar Lebensmittel ein und es bleibt noch Zeit, Geld von der Bank zu holen und die Krankmeldung mit dem Entlassungsbericht bei der Krankenkasse abzugeben.

Kurz nach vier Uhr stehe ich in Würzburg vor Barbaras kleinem Häuschen vor dem Martinello bereits auf mich wartet. Wir beladen mein Auto mit seinem Bassverstärker, dem E-Bass, einem Cajon und seinen persönlichen Reiseutensilien. Das Abenteuer kann beginnen!