34. Ich bin Künstler

Muscheln

03. April

Seit Samstag hänge ich in einer lethargisch depressiven Schleife fest und finde nicht mehr heraus. Dabei hatte ich in der Nacht von Freitag auf Samstag so gut geschlafen. Ich bin mit den irischen Songs von Finnegan´s Wake im Ohr ins Bett gegangen und mit ihnen wieder aufgewacht. Ich habe vom Urlaub in Irland geträumt und wollte mir beim Frühstück die Fotos auf dem Laptop anschauen.

Nachdem ich gut gelaunt aus dem Bad kam, ließ ich mir einen Kaffee aus der Maschine, öffnete die Foto-App, scrollte zu den Irland Bildern…. und auf einmal war sie da, die…, das…, ja was ist das eigentlich, was mir da im Hirn herumspukt?

Ich war wie gelähmt. Das Atmen viel mir schwer und mein Gesicht war wie eingefroren. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Nach einer schier endlosen Zeit des Verharrens wurde ich so wütend auf mich, dass ich am liebsten meine Koffer gepackt und mir ein Taxi bestellt hätte , das mich in die nächste Psycho-Klinik fährt. Aber ich bin einfach sitzengeblieben und denken wollte ich dann auch nichts mehr.

Amely Day

Kennst du Homer?

Jetzt sitze ich im Auto und fahre zur Bandprobe ins Kreativ Häusle. Ich bin sehr froh, dass ich es geschafft habe mein Equipment zusammen zu packen, zum Auto zu bringen und loszufahren.

Ich freue mich auf das gemeinsame Musik machen und ich freue mich auf Christos…. zumindest glaube ich, dass ich mich freue, denn eigentlich spüre ich schon wieder diesen Druck auf meiner Brust.

Christos ist bereits da, als ich das Kreativ Häusle betrete. Ich begrüße ihn und seine Muse, die ihn begleitet.
„Hast du Urlaub oder frei heute?“ frage ich ihn.
Das Lächeln weicht aus seinem Gesicht und sein Blick verfinstert sich schlagartig.
„ICH BIN KÜNSTLER“ antwortet er verärgert.
„Ja, aber auch Künstler dürfen einmal Urlaub machen.“
Wir lachen beide. Da habe ich wohl gerade nochmal die Kurve bekommen.

„Der Martinello hat mir deine Songs vorgespielt. Sie gefallen mir sehr gut. Kennst du Homer?“
Er sieht mich mit einem fragenden Blick an.
„Homer ist ein großer griechischer Dichter. Deine Liedzeilen sind wie die Gedichte von Homer. Sie haben diese unterschiedliche Zeilenlänge und unterschiedliche Betonungen. Das gefällt mir. Deshalb bin ich hier geblieben und werde versuchen dich bei den Liedern zu unterstützen.“
„OK“ sage ich, während er mich mit dem Blick eines stolzen Griechen der keinen Widerspruch duldet ansieht und ich diesen Blick, mit dem Ausdruck völliger Verwunderung über den Vergleich mit Homer, freundlich erwidere. So etwas bekommt man nicht alle Tage gesagt. Und dann noch von einem Griechen. Schon cool!

Martin kommt herein und während er seine Guild an seinen Vox AC15 Amp anschließt, stöpsle ich meine Telecaster Richie Kotzen Signature in meinen Fender Cyber-Deluxe Amp ein.

„Oh, heute elektrisch?“ fragt er mich.
„Ich möchte einmal ausprobieren wie sich die Songs mit meiner „Tele“ anhören. Bin auf deine Meinung gespannt. Mein Amp hat eine programmierte Simulation eines Fender Blackface, die relativ nah am Original ist.“

Während wir noch ein wenig über Gitarren und Amps sprechen hat auch Christos seine Vorbereitungen abgeschlossen. Er hat es sich auf dem Boden gemütlich gemacht. Mit dem Cajon vor sich liegend und dem Tamburin an der Seite zieht er den Reisverschluss seiner eng anliegenden roten Trainingsjacke bis zum Hals hoch, rückt das ebenfalls rote Kopftuch zurecht und setzt eine dunkle Sonnenbrille auf. Maximaler Coolness-Faktor. Da kann heute auch Martinello mit seinem Pork Pie ähnlichen Hut nicht mithalten.

Bleib einfach entspannt

Wir beginnen mit Bleib einfach entspannt. Der Rhythmus den Christos schlägt klingt ganz angenehm, ist aber so zaghaft gespielt, dass es den Song noch nicht wirklich voranbringt. Im Refrain wird es dann ganz dünn. Beim Versuch das Tamburin mit einzusetzen, setzt der Rhythmus fast völlig aus. Aber seine Körperhaltung und sein Outfit sind immer noch absolute Oberliga.

Der nächste Song ist Der Sonne entgegen. Ein vom Rhythmus recht einfacher Shuffle. Während ich mich darauf freue den Song mit einem guten Groove zu spielen, schiebt Christos das Cajon zur Seite und greift zur Querflöte. Das erinnert mich an die aller erste Begegnung mit ihm vor zwei Jahren bei der Jam-Session-Geburtstagsfeier von Martinello:

Ich betrat das Kreativ Häusle und da stand Christos, auf einem Bein stehend, das andere angewinkelt wie Ian Anderson von Jethro Tull, Querflöte spielend vor mir. Der Anblick ist bis heute unvergessen. Und jetzt sitzt er vor mir am Boden und möchte zu meinem Shuffle-Blues Flöte spielen. Why not. Er ist ja schließlich Künstler.

Martin Tomaschewski

Ich beginne mit dem Grundrhythmus. Martin spielt erste Blues-Licks und Christos startet mit einem sanften Trillern auf verschiedenen Grundtönen. Hört sich super an. Aber ich würde jetzt einen rhythmischen Einstieg doch sehr begrüßen. Mein Blick geht zu Christos und sein Blick signalisiert mir: Ich bin in Lauerstellung für das nächste Querflöten Fill In.

Ich singe die erste Strophe und wir kommen zum Refrain. Hier gebe ich die Hoffnung auf einen treibenden Rhythmus auf.
„Du möchtest mehr Rhythmus“ sagt Christos und ich bin mir nicht sicher ob er das als Frage oder gefühlte Wahrnehmung meint.
„Ja, aber die Querflöte, ääh ja, die fand ich auch sehr interessant. Hat was.“

Martinello möchte gerne Ein Stein weint nicht spielen. Das freut mich, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass gerade dieser Song bei Martin und Martinello nicht so gut angekommen ist.

Christos wechselt wieder zum Cajon. Was er spielt klingt für mich wie ein nervöses Fingerklopfen auf der Tischplatte, wenn man im Lokal bereits seit einer Stunde auf sein Essen wartet. Dabei habe ich noch das Bild von ihm vor Augen wie er im vergangenen Jahr bei der Geburtstags-Jamsession das Schlagzeug von Ronny übernahm und virtuos darauf gefreestylt hatte und ich so begeistert war dass ich ihn für Amely Day gewinnen wollte.

Christos an der Querflöte

Fortsetzung folgt…

Da ich selbst kein Cajon spiele, habe ich leider auch keine Vorstellung davon wie schwierig es ist einen Rhythmus zu einem völlig unbekannten Song zu finden. Vielleicht bin ich auch schon zu sehr von Martin und Martinello verwöhnt, die immer das Richtige zu meinen Songs spielen ohne sich reinhören oder einfühlen zu müssen. Und wenn man zwei so großartige Musiker an seiner Seite hat, dann erwartet man diese Qualität natürlich auch an der rhythmischen Holzkiste. Sorry, Christos!

Bevor wir auseinander gehen schnappe ich mir den Pork Pie von Martinello und schieße ein Selfie um zu sehen ob ich sowas auch tragen kann.

„Steht dir gut.“
„Ja, find ich auch. Ich habe das Gefühl, dass ich für die Bühne noch eine coole Kopfbedeckung brauche. Ich will morgen in die Stadt, da gibt es auf der Julius-Promenade einen Hutladen. Mal sehen ob ich da was finde was zu meinem Kopf passt.“
„Was macht eigentlich der Sänger von dem du erzählt hast.“
„Der hat sich noch nicht gemeldet. Ich fürchte das wird wohl nichts.“
„Brauchen wir denn einen Sänger? Ich finde deine Stimme passt ganz gut zu deinen Songs. Du könntest nur noch ein bisschen kräftiger singen.“
„Und vielleicht noch ein wenig schöner“ sage ich und alle müssen lachen.

Stetson Pork Pie

Für Amely Day endet heute das erste Kapitel und ich glaube ich sollte zufrieden sein. Seit ich am 18. August vergangenen Jahres damit begonnen habe meine Songideen auf Video aufzuzeichnen und in meinem blauen Notizbuch festzuhalten sind 52 Songideen entstanden. Für 12 dieser Ideen habe ich einen Text geschrieben und die Songs mit Martin und Martinello an nur 4 gemeinsamen Probeterminen aufgenommen – mit Schöner Tag haben wir sogar einen richtigen Ohrwurm.

….ich freue mich auf die Fortsetzung nach meiner Reha!