23. März
Um mich heute morgen vom „Laufen gehen“ zu überzeugen ist keine zusätzliche Motivation nötig. Nachdem ich mich gestern Abend nicht davon abhalten konnte die große Packung Cantuccini kurz vor dem schlafen gehen noch zu essen, schlüpfe ich freiwillig in meine Sportklamotten. Ich stelle mir erst gar nicht die Frage, welche der drei unterschiedlich langen Laufstrecken wohl die Richtige ist, um mich von den gedanklichen Vorwürfen gegen mich selbst zu befreien. Es muss mir irgendwie gelingen soviel innere Ruhe zu finden, dass ich mit diesem Tag etwas sinnvolles anfangen kann.

Vor dem Haus, wärme mich kurz auf. Ein paar Dehnübungen die ich aus dem Reha-Sport kenne. Dann laufe ich los.
Als ich am Haus vorbeikomme in dem ein Bekannter wohnt, mit dem ich ab und an Laufen gehe, schießen mir wütende Gedanken durch den Kopf: was bildet sich dieses arrogante Arschloch ein, mir diese Woche nur kurze desinteressierte Absagen auf meine beiden Laufanfragen zu schicken. Bin ich denn der Vollhorst der immer nur für Andere Zeit haben muss?

Es dauert eine ganze Weile bis ich mich aus diesem Gedankenkarussell befreien kann. Ich denke an Stefanie Stahls Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ und frage mich welche Verletzung mein Schattenkind erlebt haben muss, dass ich bedeutungslose Absagen wie diese, als persönliche Ablehnung empfinde.
Ein negativer Glaubenssatz ist möglicherweise: Ich bin nicht wichtig
Aber wo und wann ist dieser Glaubenssatz entstanden? Wann ist man WICHTIG? Und fängt das Problem nicht schon mit der Frage an: WER ist wichtig? Und nicht WAS ist wichtig?

Ich behaupte immer, dass mir materielle Dinge wie ein schickes Haus oder ein tolles Auto, viel Geld auf dem Konto, trendige Klamotten oder ein teurer Urlaub nicht wichtig sind. Aber was wäre wenn ich diese Dinge hätte? Wären sie mir wichtig? Oder würden mir falsche Freunde dann vorspielen wichtig zu sein?
Freundschaft und Vertrauen, das scheinen wohl die wichtigsten Grundpfeiler in meinem Leben zu sein. Und wenn ich so darüber nachdenke, dann liegt es vielleicht am verloren gegangenen Vertrauen anderen Menschen gegenüber und der ständigen Angst aufgrund meiner negativen Glaubenssätze Freunde zu verlieren, warum ich so heftig auf vermeidliche Ablehnung reagiere.

Während ich so darüber nachdenke, wer oder was mein Vertrauen so ins Wanken gebracht hat, fällt mir wieder ein, dass mir mein Bekannter neulich erzählt hat, dass er seine Wohnung renovieren will. Wahrscheinlich ist er gerade damit beschäftigt Möbel zu rücken oder Wände zu streichen und hat deshalb keine Zeit. Vielleicht rufe ich ihn einfach mal an. Das klingt gut. Mit solchen Gedanken besiege ich mein Schattenkind.
Die Gefahr ist bald gebannt
An den Tennisplätzen nehme ich die ausgeschilderte Laufstrecken die direkt in den Wald führt. Der Boden ist vom Regen aufgeweicht und ich muss an meinen Wandersong denken für den ich noch keinen fertigen Text habe. Ich beginne die Melodie in meinem Kopf zu summen und singe dazu die wenigen Zeilen die ich bereits geschrieben habe.

Ich scanne meine Umgebung mit den Augen und sehe eine gigantische Vielfalt an Grün- und Brauntönen, sehe eine kleine Gruppe violetter Krokusse die wohl irgendwer hier ausgesetzt hat, höre ein Rascheln, sehe einen kleinen Vogel der zwischen Blättern und Ästen nach Nahrung sucht und stelle mir Pilze und Beeren vor die hier irgendwo versteckt unter dem Laub wachsen.
Während in meinen Gedanken eine Gitarre das Zopfmuster der Strophe spielt höre ich bereits wie der Song klingt wenn wir ihn live spielen und die Melodie dazu im Intro gepfiffen wird. Ich höre wie das Publikum mit einsteigt und die kleine Melodie mit pfeift. Das wird einmal eine so coole Nummer, wenn wir sie Live spielen!

Die große Runde im Wald ist absolviert und ich befinde mich auf der Zielgeraden. Ich laufe über die Felder Richtung Tennishalle und bin gedanklich bei meinem Song Jemand der dir wichtig ist. In dem Song ist eine Textzeile mit der ich schon beim Schreiben nicht wirklich zufrieden war.
Wohin wird dein Weg uns führen
ist dein Ziel ein fernes Land
Kannst du meine Hoffnung spüren
tauschen Asphalt gegen Sand
Und das stimmt so nicht. Richtig wäre der Tausch von Sand gegen Asphalt. Aber dann würde sich die Zeile nicht mehr reimen. Ich muss das ändern. Die Textzeile muss neu geschrieben werden.

Wieder zu Hause stürze ich mich sofort auf den Song. Zuerst lese ich alle Strophen und merke dass die gesamte Story in sich nicht wirklich stimmig ist. Ich konzentriere mich auf die Asphalt gegen Sand Zeile und habe schon nach kurzer Zeit den perfekten Ersatz.
Die neue Zeile heißt: die Gefahr ist bald gebannt. Jetzt wird auch deutlich, dass diese Strophe im Text weiter nach oben muss und die dritte Strophe inhaltlich nicht mehr zur Geschichte passt. Ich ändere den Text, lese ihn noch einmal durch und fühle wie mich mein Sonnenkind freundlich anlächelt!