24. Ein Stein weint nicht

Burnout Blues

08. März

Ich weiß nicht woran es liegt, aber immer wenn ich das Gefühl habe, es ginge mir wieder besser und ich könnte meinen Tagesablauf wieder so strukturieren, dass ich problemlos kleinere Aufgabenpakete bewältigen könnte, drehen meine Gedanken völlig ab. Bereits bei der Aufgabenplanung beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. So als müssten alle Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt sein. Und das Zeitfenster ist so knapp bemessen, dass es gar nicht zu schaffen ist.

Burnout Blues

Am vergangenen Samstag war ich mit einem Bekannten in Würzburg zum Frühstücken verabredet und obwohl ich eine relativ ruhige Nacht hatte, entwickelte sich der Tag bereits nach dem Aufstehen zu einem typischen Ausfall-Tag.

Beim Zähneputzen hatte ich darüber nachgedacht was ich am Wochenende an Hausarbeit erledigen muss – aufräumen, bügeln und putzen – und schon wurde ich hektisch und meine Morgenroutine verlief völlig unkontrolliert. Ich wollte nur noch fertig werden und der Gedanke, in einem nicht existierenden Zeitfenster nicht fertig zu werden, sorgte für maximales Gedankenchaos. Bis ich ins Auto stieg um in die Stadt zu fahren, war ich mit den Nerven bereits völlig runter.

Burnout Blues

Wir trafen uns im Martinz, einem gemütlichen Café in der Innenstadt, das mittlerweile zu einem unserer Stammcafés geworden ist. Vom Parkplatz bis zum Café waren es etwa 15 Gehminuten. Das Laufen tat mir gut und ich brachte Kopf und Puls wieder auf Normalfrequenz. Beim Frühstücken ließ ich mir nichts anmerken und von meinem gedanklichen Höllenritt habe ich nichts erzählt. Warum auch. Verstehe gerade selbst nicht, was mit mir los ist.

Wieder zu Hause hörte ich mir die Aufnahme einer neuen Songskizze an, die ich vor ein paar Tagen aufgenommen hatte und seit der Rückfahrt aus der Stadt wieder im Ohr hatte. Und weil ich erst gar keine innere Unruhe mehr aufkommen lassen wollte, nahm ich meine Gitarre und entschied, mich an einem Text für den Song zu versuchen.

Burnout Blues

Ich hörte mir die Aufnahme immer wieder an und hoffte einen Text für die Textzeile zu finden, die ich mit meinem Phantasie-Englisch gesungen habe. Aber nichts passierte. Erst gegen Abend, als der Fernseher bereits eine ganze Weile tonlos lief und ich unaufhörlich die Songskizze auf der Gitarre spielte, sang ich

Ich mag Suppe,
so wie sie meine Mutter immer gekocht hat
wenn sie an meinem Bett sass weil ich krank war
und sich um mich gesorgt hat bis ich gesund war

Da war sie – die erste Strophe. Ich tippte sie sofort aufs Textblatt und spielte sie immer wieder. Ich war völlig aufgedreht. Ich spielte und sang und nahm weder Film noch Fernseher war und dann hatte ich den Refrain

Ein Stein weint nicht,
weil die Sterne heute baden gehen

Burnout Blues

Nicht denken. Nur nicht denken. Ich benötigte noch zwei Zeilen die mir aber nicht einfallen wollten. Warum weint ein Stein nicht? Weil ein Indianer keinen Schmerz kennt. Was passiert, wenn die Sterne baden gehen? Ich wusste es nicht. Und müde war ich auch. Ich legte mich ins Bett um am nächsten Tag weiter daran zu arbeiten.

In der Nacht lief der Song weiter in meinem Kopf und als ich am nächsten Morgen aufgewachte und mit offenen Augen an die Decke starrte, war da wieder dieses angenehme Gefühl der inneren Zufriedenheit. Die Gedanken daran, mit Worten und Tönen Neues zu schaffen und mit Anderen teilen zu können, waren so unbeschreiblich wohltuend. Das kann ich doch nicht aufgeben und zurück in einen Job gehen in dem es weder Respekt noch Anerkennung gibt….

Burnout Blues

Den ganzen Sonntag hatte ich mit der Gitarre auf dem Sofa verbracht. Das bisher geschriebene kam aus meinem Unterbewusstsein und so hatte ich nichts worüber ich recherchieren konnte. Ich musste Gitarre spielen, singen und in mich hinein hören. Bis zum Nachmittag entstand eine zweite Strophe und zwei weitere Zeilen für den Refrain.

Richtig gut war das noch nicht. Ich kam nicht mehr weiter und spielte die zwei Strophen und den Refrain bis eine WhatsApp Nachricht mit der Frage WAS ESSEN GEHEN? reinkam. Den Abend mit Freunden in angenehmer Gesellschaft beim Mexikaner ausklingen lassen? Ich sagte zu.

Burnout Blues

Am Montag hatte ich verschiedene Ideen und schrieb weitere Strophen. Beim singen war leider wieder alles nur Müll. Die Strophen Drei und Vier liefen inhaltlich in eine völlig falsche Richtung. Ich wusste nicht weiter und gab auf. Gestern das Gleiche. Ich schrieb neue Strophen, war wieder nicht zufrieden und habe sie mit der Delete-Taste entfernt.

Heute morgen war ich, nach einer weiteren Nacht in der ich Text suchend im Wach-Schlaf durchgearbeitet habe, so durch den Wind, dass ich die Ursache hierfür bei meinem Schattenkind vermutete und entschied, mich aktiv damit auseinanderzusetzen. Ich suchte die Antworten auf meine Fragen im Buch Das Kind in dir muss Heimat finden.

Burnout Blues

Es kostete mich große Überwindung darin zu lesen, da ich aufgefordert wurde die Türen in meine Vergangenheit zu öffnen. Doch so sehr ich es auch versuchte, es gelang mir nicht. Ich habe keine Erinnerungen. Meine Türen sind verschlossen und das lässt mir keine Ruhe. Es sorgte sogar für so viel Unruhe dass ich aufsprang, hektisch in meine Sportklamotten schlüpfte und mir vornahm, so lange durch das Wohngebiet zu laufen bis ich wieder zur Ruhe kam.

Nach fünf bis sechs Kilometern beruhigte sich langsam mein Gedankenkarussell und ich fing an mir vorzustellen ich würde einen Workshop zum Thema Songwriting leiten.

Burnout Blues

Auf die Frage zur Herangehensweise empfahl ich den imaginären Teilnehmern, sich Gedanken darüber zu machen, welche Themen sie persönlich bewegen. Sobald sie ein Thema für sich gefunden hatten, war der nächste Schritt die einzelnen Strophen kurz mit kleinen Inhalten zu skizzieren, damit klar wird worum es in den jeweiligen Strophen gehen soll. Dann der Refrain. Hier kann das Thema direkt kurz und prägnant ausgedrückt werden oder man findet eine Metapher, wie ich sie persönlich sehr gerne verwende.

Während ich lief und mir zuhöre, was sich in meinem Kopf abspielte, wurde mir bewusst, dass ich mir gerade selbst die Lösung für mein aktuelles Songwriting-Problem gegeben habe.

Burnout Blues

Wieder zu Hause nahm ich den Song, schaute mir die einzelnen Strophen an, stellte mir die richtigen Fragen und schrieb den Text. Jetzt ist er fertig. Und das Pippi läuft mir auch wieder aus den Augen. Aber das tut es ja immer….

(Anfang verpasst?)