22. Wo du bist

Burnout Blues

Ich wüsste gerne wo du bist
und ob’s da wohl so ist
wie du mir das erzählt hast
© Amely Day – Wo du bist

28. Februar

Ich starre auf den Fernseher. Es läuft „Machine Gun Preacher“ mit Gerard Butler. Die Handlung ist so langweilig, dass ich bereits nach 20 Minuten den Ton abstelle. Gerard Butler als alkohol- und drogenabhängiger Biker, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zum schießwütigen Missionar mutiert, überzeugt mich kein Bisschen. Ich bin total enttäuscht.

Burnout Blues

Ich greife zu meiner Gitarre und während ich den Grundrhythmus zu „Der Sonne entgegen“ spiele, erinnere ich mich an eine Szene aus dem Film „300“. Ich sehe Gerald Butler wie er sich, mit genau dieser Anzahl an durchtrainierten Spartaner, einer gewaltigen Übermacht an persischen Kriegern stellt und in heroischer Weise bis zum letzten Mann kämpft.

Siehst du im Spiegel dein Leben,
dann schau genau hin.
Kopf in den Sand und verstecken
ergibt keinen Sinn.

Burnout Blues

Oh, je. So wird das wohl nichts mit einem Gute-Laune-Song. Dabei hatte ich mir vorgenommen mal wieder so einen Lullu-Song zu schreiben, damit mein Repertoire, das überwiegend aus nachdenklichen und leicht melancholischen Songs besteht, ein ausgewogeneres Verhältnis bekommt. Aber wie soll das funktionieren wenn der Maschinengewehr-Prediger nur nervt anstatt mich für Heldentaten zu motivieren.

Ich spiele Wo du bist. Und während ich die erste Strophe singe wird mir klar, warum mein Unterbewusstsein diesen Song ausgesucht hat. Es ist die Strophe die ich letztes Jahr ergänzt habe, weil mir so ein dämlicher Hirndämon immer wieder erzählte, dass bei einem Song der mit zu vielen Soli auf Länge getrimmt wird, der Inhalt verloren geht: Besser du schreibst noch eine Strophe!

Burnout Blues

Dabei war der Song, so wie ich ihn während meiner Bandscheiben-Reha im Schwarzwald geschrieben habe, perfekt. Wenn die Story auf den Punkt gebracht ist, gibt es nichts mehr hinzuzufügen. Außerdem klingen die Strophen nach. Denn das, was zwischen den Zeilen erzählt wird regt an, sich damit weiter auseinander zu setzen.

Nachdem ich den Song gespielt habe, markiere ich die nachträglich ergänzten Zeilen und drücke auf löschen. Ein gutes Gefühl! Jetzt ist der Song wieder perfekt. Ich spiele ihn nochmal und amüsiere mich über das Paradoxum in der ersten Strophe auf das mich mein bester Freund irgendwann aufmerksam gemacht hatte

Ich wüsste gerne wo du bist
und ob’s da wohl so ist
wie du mir das erzählt hast

Burnout Blues

Ich nenne es künstlerische Freiheit, denn die Zeilen beschreiben in wenigen Worten das Bild, das während des Schreibens vor meinen Augen entstand. Der Song ist mega persönlich und sein Geheimnis findet sich in den blauen Kisten in meinem Schrank, in denen ich alle meine Erinnerungen aufbewahre.

Während mich die Vergangenheit umklammert, stelle ich mir unwillkürlich die Frage, ob ich die erzählte Story schon von allen Seiten thematisch ausgeleuchtet habe. Und während ich so grüble und immer tiefer gedanklich in die Story eintauche entstehen in meinem Kopf neue Bilder und neue Textzeilen die ich sofort zu Papier bringen muss

Es ist dein Atem den ich spür
der in meinen Adern schläft
und mich festhält wenn ich frier

Die Zeilen berühren mich. Sie haben dieses Kryptische. Und das war es auch was mich an dieser falschen Strophe so gestört hatte – sie war einfach zu verständlich. Diese Sätze hingegen lassen Freiraum für Phantasie und Interpretation.

Ich spiele den Song mit der neuen halben Strophe und singe die aus dem Nichts kommenden Zeilen die dem Song noch gefehlt haben.

aus dem Laub der Phantasie
sprießt ein lebloses Gefühl
das dem Himmel so nah ist

Burnout Blues

Ich beuge mich über meine Gitarre und tippe die letzten fehlenden Zeilen ins Manuskript. Durch den Druck meines Oberkörpers schneidet mir meine Gitarre in den Oberschenkel. Egal. Ich singe die neue Strophe und eine tiefe innere Zufriedenheit macht sich in mir breit. Der Song hat jetzt die richtige Länge und ich fühle keine Tränen in meinen Augenhöhlen. Und das ist gut….

(Anfang verpasst?)