21. Erst einmal Luft holen

Würzburg

19. Februar

Als ich zum ersten Mal auf meinen Wecker schaue ist es 7.00 Uhr. Viel zu früh zum Aufstehen. Ich bin erst um 2.30 Uhr ins Bett gekommen. Mit einem breites Grinsen auf dem Gesicht drehe ich mich zur Seite und mache meine Augen wieder zu. Der gestrige Abend war ein so toller Abend dass ich, mit den Gedanken daran, auch sofort wieder einschlafe.

Gerald Plessgott

Kurz nach 10.00 Uhr sitze ich mit meiner Gitarre und einer Tasse Kaffee in der Hand auf meinem Sofa. Ich habe immer noch dieses breite Grinsen auf dem Gesicht als eine WhatsApp von meinem Nachbarn reinkommt.

schon wach?
JA KLAR
hast du heute schon was vor?
BISHER NOCH NICHT. HAST DU EINE IDEE?
wollen wir in die Stadt einen kaffee irgendwo trinken gehen?
SEHR GERNE, WANN?
so gegen 14 uhr oder 14.30 uhr?
HALB DREI BEI MIR AM AUTO?
ok

Würzburg

Kurz vor drei Uhr parke ich in Würzburg auf der Talavera und wir laufen Richtung Innenstadt. Mein Nachbar erzählt mir von seinem gestrigen Abend, an dem er seit längerem mal wieder alleine Unterwegs war. Er traf im Besitos viele alte Bekannte und hatte später mit ihnenin den Weinstuben des Bürgerspitals noch richtig viel Spaß. Ich versuche ihm zuzuhören. Doch dann platzt es aus mir heraus:

„Du glaubst nicht was gestern Abend passiert ist.
Die Frau vom Martin, unserem Sologitarristen bei Pearlgarden hatte Geburtstag. Super schöner Abend, leckeres Essen, angenehme Gäste, viel Musik, die Lagerfeuer-Songs rauf und runter gespielt und dann hat die Lebensgefährtin vom Martinello von meinen Songs geschwärmt und erzählt dass ihr der Martinello die Stücke auf CD brennen musste, damit sie die Songs im Auto hören kann und sie ist total begeistert und plötzlich war ein allgemeines Interesse an meiner Musik da und wir haben die Songs gespielt und den Leuten haben sie total gut gefallen und Martinellos Lebensgefährtin konnte die Lieder schon fast auswendig mitsingen und – erst einmal Luft holen – das war der totale Wahnsinn, weil ich so aufgeregt war und zwei von den Songs in völlig falscher Tonlage begonnen habe, aber das hat keiner gemerkt. Das hat so viel Spaß gemacht!“

„Klingt gut. Und wenn ihr einen Manager braucht, du weisst Bescheid. Ich kann zwar nix, aber ich bin teuer!“

„Ok, genau so jemand suchen wir!“

Würzburg

Was ich nicht erzählen mag ist, dass ich mir Sorgen mache weil ich gestern, als wir die Songs gespielt haben, wieder mit den Tränen gekämpft habe. Und weil das für mich irgendwie nicht mehr so richtig normal ist was gerade mit mir passiert – das melancholische Rumsitzen, die Angst, der unkontrollierte Gedankenwahnsinn, die Fressattacken, das Stress-Pissen, das Weinen und Lachen mit Nervenzucken am ganzen Körper – brauche ich Hilfe!

(Anfang verpasst?)