12. Dezember
Als ich 14 Jahre alt war durfte ich ein paar Wochen meiner Sommerferien bei meinen Verwandten in Selbitz verbringen. Der Wunsch hierzu entstand als ich bei einem Besuch im Kinderzimmer des Älteren meiner beiden Cousins eine Orgel und eine Gitarre entdeckte. Ich erinnere mich noch gut daran dass ich auf der Orgel bereits nach kurzer Zeit eine kleine Akkordfolge spielte zu der ich eine simple Melodie komponierte. Und das zum Entzücken von Verwandtschaft und Familie.
Die Ferientage in Selbitz verbrachte ich überwiegend mit den beiden Instrumenten und weniger mit meinen beiden Cousins. Vor allem die Gitarre hatte es mir angetan.
Da mein Cousin kein Interesse am Musizieren hatte, konnte er mir lediglich zeigen wie man die Gitarre richtig hält. So habe ich mir die Töne selbst zusammengesucht und relativ schnell die Tonfolge vom Smoke on the water-Riff auf der hohen E-Seite gefunden. Als ich es einigermaßen erkennbar spielen konnte fühlte ich mich wie Ritchie Blackmore.

Und dann war da der letzte Tag in Selbitz als mir meine Tante die Gitarre, verpackt in einer hellgrünen Kunstleder-Tasche, schenkte. Das war für mich ein so unbeschreiblicher Moment. Das war… da habe ich das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen.
Und als ich wieder daheim war habe ich meine Gitarre geschnappt und mich mit meinen zwei besten Freunden getroffen: dem Willi und dem Dieter. Denen musste ich sofort das Smoke on the water-Riff vorspielen und danach war für sie der König auf sechs Saiten.
Nichts denken, nur Kaffee trinken
Ich muss schmunzeln wenn ich an so alte Geschichten denke, weil mir in solchen Momenten bewusst wird welche Bedeutung die Musik schon immer in meinem Leben hatte und wie sie sich dem normalen Alltag unterordnen musste. Letzten Endes immer nur der Rettungsanker sein durfte wenn wieder einmal etwas schief ging, etwas schlimmes passiert ist oder ich wieder total unglücklich war.

Vor zwei Tagen war ich mit meinen Nordic Walking Stöcken laufen gewesen. Ich wollte den Kopf frei bekommen und eine Antwort finden auf die Frage ob das mit der Musik, dem Songwriting und dem Texten etwas ist, das ich ernsthaft auch Freunden und meiner Familie erzählen kann.
Und weil ich mich zu Hause nicht konzentrieren konnte ging ich mit meinen Nordic Walking Stöcken laufen und war umso enttäuschter als meine Laufrunde beendet war und ich immer noch keine Antworten hatte. Statt dessen musste ich über die Frage meines Psychotherapeuten nachdenken die er mir als Aufgabe für zu Hause gestellt hatte. „Wie müsste ihr beruflicher Aufgabenbereich definiert sein damit sie wieder erfolgreich und zufrieden arbeiten könnten?“

Während ich darüber nachdachte jagten meine Gedanken vor mir her und ich ihnen hinten nach. Und immer wieder musste ich stehen bleiben und pinkeln – eigentlich nicht richtig Wasser lassen mit großem Druck auf der Blase, sondern so ein nervöses 75 Tropfen pipettieren.
Ich dachte auch über Projekte nach die ich beruflich noch umsetzen wollte. Über Online-Marketing, neue Wege der Kundenansprache, der Zukunft des Cash & Carry-Geschäfts, Neukundengewinnung, Marktstrategien, Umsatzaktivierungsmaßnahmen und was weiß ich noch alles.
Als ich auf dem Rückweg aus dem kleinen Waldstück heraus lief konnte ich mich nicht einmal daran erinnern überhaupt durch durch den Wald gelaufen zu sein.

Den restlichen Tag verbrachte ich in meinen verschwitzten Laufklamotten vor dem Fernseher mit der ersten Staffel von Vikings, einer Fernsehserie die mir ein Freund auf DVD ausgeliehen hatte. Die Folgen 1 bis 4 sorgten für die benötigte Ablenkung. Ich musste nichts denken, nur Kaffee trinken, etwas essen, aufs Klo gehen und schlafen.

Die Nacht verlief sehr unruhig. Gegen halb Drei wachte ich schweißgebadet und mit Herzrasen auf. Ich hatte wieder von meinem Berufsalltag geträumt.
Die Bürotür flog auf und neue Aufgaben kamen mir in Form von Sprechblasen entgegen geflogen. Die Abstände in denen die Tür aufging wurden immer kürzer und die Sprechblasen die auf mich zuflogen wurden immer größer bis ich die Augen aufriss und mich irritiert in meinem Zimmer umsah.
Einschlafen ging nicht mehr und so stand ich auf, schaltete das Licht an und las ein paar Seiten im Buch Ohne Worte von Thorsten Havener.
Ein mega genialer Gute-Laune-Refrain
Gestern war ich wieder laufen, weil ich doch wissen wollte ob sich das mit dem „nur noch Musik machen“ wirklich so doof anhört wie es wahrscheinlich auch ist. Ich war ziemlich müde wegen dem fehlenden Schlaf und meine Gedanken kreisten wieder um das Thema Beruf.
Die Bilder in meinem Kopf wechselten sprunghaft und Gesprächsfetzen waberten irgendwo zwischen meinen Ohren. Oder unter meiner Kopfhaut? Ich fühlte unendliche Wut und Enttäuschung und ständig musste ich anhalten und pissen. Jeder Versuch über meinen Wunsch nach Veränderung und dem Musik machen nachzudenken wurde torpediert von Erinnerungen in die ich mich emotional so intensiv hineinsteigerte dass ich mich wieder nicht erinnern konnte durch den Wald gelaufen zu sein.
Der restliche Tag gehörte den Wikingern von Vikings Folge 5 bis 8. Dazu Kaffee trinken, etwas essen, aufs Klo gehen und mich mit meinen verschwitzten Klamotten ins Bett legen.

Während ich so dalag hörte ich in meinem linken Ohr plötzlich ein leises Rattern das sich aber anders anhörte als das Rattern das ich vor über einem Jahr auf dem rechten Ohr hatte und das mich manchmal die halbe Nacht mit diesem drdrdrdrdrdrdrdr-Geräusch begleitete.
Ich stand auf und wollte zum Buch von Thorsten Havener greifen als mir ein Song durch den Kopf ging den ich vor vielen Wochen aufgenommen hatte. Eigentlich nur zwei ganz kleine Strophen die ich spontan zusammengereimt hatte und dazu ein mega genialer Gute-Laune-Refrain.
Ich nahm mein iPhone und suchte nach der Aufnahme. Ich musste schmunzeln als ich die Strophen hörte und beim Refrain sang ich sofort mit. Mit diesem Ohrwurm im Kopf legte ich mich wieder hin und während der Refrain im Kopf weiter lief und ich darüber nachdachte wie die weiteren Strophen sein könnten bin ich eingeschlafen….