12. Februar
„Hallo Gerald, Ingo hier. Ich wollte Fragen ob du eventuell schon heute Nachmittag vorbeikommen könntest. Der Peter ist seit gestern bei mir und wir haben zu deinen Songs bereits erste Schlagzeug-Parts aufgenommen.“
„Das ist ja voll super. Ab wann kann ich bei dir vorbeikommen.“
„Je früher desto besser.“
„OK. Lass mich kurz überlegen. Ich könnte so ab 14 Uhr bei dir sein.“
„Ja klasse. Da freue ich mich.“
„Freue mich auch. Bis dann.“
Am Dienstag hatte mich Ingo angerufen und mir erzählt, dass er am Wochenende Besuch vom Peter bekommt. Peter ist Schlagzeuger und Ingo hatte ihm die Aufnahmen meiner Songs zugeschickt, von denen wir Ende November zusammen mit Frank Guide Tracks aufgenommen haben. Er wollte wissen ob ich Lust hätte, die Songs mit einem Schlagzeuger aufzunehmen….was für eine Frage! Und jetzt sitze ich im Auto und bin schon total gespannt wie die Zusammenarbeit meine Songs verändern wird.

Die Begrüßung ist wie immer sehr herzlich und auch Peter scheint ein sehr entspannter Typ zu sein. Wir machen es uns in seinem Wohnzimmer-Studio bequem und nachdem ich von Ingo mit frisch aufgebrühtem Früchte-Tee versorgt wurde, sprechen wir über die Songs. Peter erzählt mir, dass er gestern bereits für drei meiner Songs Rhythmus-Vorschläge erarbeitet und aufgenommen hat. Die Aufnahmen wären aber nicht sauber, weil das Tempo der Guide Tracks vom November leicht schwankt.
„Ich würde gerne mit „Der Sonne entgegen“ anfangen wollen. Das ist der einzige Song den ich mir bisher so gar nicht ohne Rhythmische Unterstützung vorstellen kann.“
„Na klar“ meint Peter, „können wir machen.“

„Zuerst müssen wir mal das Tempo festlegen“ sagt Ingo und aktiviert hierfür ein digitales Metronom, das er auf 83 Beats per Minute einstellt. Als Gitarre habe ich meine mitgebrachte Fender Stratocaster gewählt, die Ingo über sein Multieffektgerät laufen lässt. Meine Fender klingt jetzt wie eine Gibson ES 355, der Gitarre die auch B.B. King gespielt hat. Ich spiele meinen Rhythmus-Part und nachdem wir verschiedene Tempi angetestet haben, entscheide ich mich für 89 bpm. Das grooved.

„Lass uns gleich mal den Rhythmuspart aufnehmen“ sagt Ingo.
Er startet das Metronom und bereits nach weniger als 30 Sekunden bin ich raus aus dem vorgegebenen Rhythmus. Es dauert etwa zehn Minuten bis ich es schaffe das Tempo zu halten. Weitere 30 Minuten später ist die erste Aufnahme fertig.
„Kannst du auch gleich noch das Solo und die Fill In´s einspielen?“ fragt mich Peter.
„Gute Idee“ meint Ingo. „Danach lege ich die Basslinie drunter.“
Nach drei Aufnahmen bin ich mit dem Ergebnis zufrieden und Ingo kann den Bass dazu einspielen.

Ich sitze mit Peter zusammen und er erklärt mir seine Notizen mit den skizzierten Gedanken er sich für die Schlagzeugaufnahme gemacht hat. Für mich ist das alles neu und mächtig aufregend. Es wird nicht diskutiert wie das Stück laufen soll, sondern ich bekomme Vorschläge gemacht und darf entscheiden wie und was ich haben möchte. Ich spüre so ein kleines Rockstar-Feeling.
Wir entscheiden uns, verschiedene Aufnahmen zu machen. So kann ich später entscheiden welche mir am besten gefällt. Peter zieht sich in den schalldichten Aufnahmeraum zurück in dem sein E-Drum steht und kommuniziert mit Ingo über Kopfhörer, der die letzten Vorbereitungen für die Aufnahme am Mischpult trifft. Dann geht es los. Leider dringt kein Ton nach Draußen und so sitze ich, gespannt wie ein Flitzebogen, mit einer frischen Tasse Früchte-Tee im Wohnzimmersessel und muss warten bis die Aufnahmen abgeschlossen sind.

Die Tür vom Aufnahmeraum geht auf und Peter kommt raus.
„Ich hoffe es gefällt dir“ sagt er und Ingo startet die Aufnahme.
Erst das kleine Vorspiel durch die Gitarre, dann setzt das Schlagzeug ein. Wir sitzen da, hören zu und wippen mit den Köpfen und mit den Füßen im Takt. Ingo am Mischpult, Peter auf dem Sofa und ich im Sessel. Ich empfinde die Situation als surreal weil doch Träume so selten wahr werden und das ist gerade mein Song der da läuft….
„Wie gefällt es dir?“ fragt mich Peter.
„Ich mag den Einstieg wie du in den Song reingehst. Das Tempo passt auch und ich bin total überrascht wie organisch sich das E-Drum anhört.“
„Ich würde gerne noch eine Aufnahme machen wollen, weil ich ein paar Kleinigkeiten ändern möchte.“

Nachdem die Schlagzeugaufnahme abgeschlossen ist, stehe ich im Aufnahmeraum zum ersten Mal vor einem richtigen Großmembran-Mikrofon und darf die Gesangsspur einsingen. Ich kenne das bisher nur aus dem Fernsehen, wenn Sänger in der Gesangskabine stehen und für die Aufnahme die Musik über Kopfhörer zugespielt bekommen. Und jetzt stehe ich hier mit Kopfhörern auf dem Kopf und bekomme hierüber von Ingo die letzten Instruktionen.
Wir nehmen den Song zweimal auf. Dann sitzen wir wieder im Wohnzimmer-Studio zusammen und hören uns die Aufnahmen an.

Ich kann nicht sagen was da höre, aber es ist nicht Amely Day. Etwas fehlt und ich weiß nicht was. Ich lobe noch einmal den Schlagzeug-Part, denn der ist wirklich super sauber gespielt. Vielleicht aber ist es genau das?
„Was wir jetzt noch machen können“ sagt Ingo „ist ein bisschen Feintuning.“
Er verändert den Sound der Gitarre durch hinzufügen verschiedener Effekte, dreht hier ein bisschen was rein und da ein bisschen was raus und dann ist der Song fertig.
„Ich muss leider wieder los“ sagt Peter. „Du kannst mir aber die anderen Songs zuschicken. Wenn sie entsprechend vorbereitet sind, so wie wir das heute gemacht haben spiele ich dir das Schlagzeug von zu Hause aus mit drauf.“
„Hört sich gut an. Das können wir gerne so machen.“

Nachdem Peter sich verabschiedet hat wandelt mir Ingo die Aufnahmen in eine MP3-Datei und eine WAV-Datei und zieht sie mir rüber auf meinen Laptop. Wir sitzen noch eine Weile zusammen und Ingo erzählt mir von sich und seiner musikalischen Vergangenheit. Wir schauen uns ein paar Videos an, die er mit Markus Rill aufgenommen hat und dann muss auch ich los.
Das ist nicht Amely Day
So gerne ich bei Ingo bin und so sehr ich ihn mag und schätze, so froh bin ich heute, bei ihm raus und an der frischen Luft zu sein. Die letzten acht Stunden habe ich permanent Nikotin eingeatmet und das bin ich nicht mehr gewohnt.
Im Auto merke ich, wie stark meine ganzen Klamotten nach Rauch riechen und ich dadurch immer noch Nikotin einatme. Ich spüre plötzlich Angst. Angst davor, dass das Nikotin in meiner Nase eventuell einen Hebel in meinem Kopf umlegt und wieder ein Verlangen nach einer Zigarette entstehen könnte. Das wäre furchtbar.
Ich bin doch total glücklich darüber, dass mein Körper seit mehr als 5 Jahren mich nicht mehr zwingt zur Zigarette zu greifen, nachdem er mich über 30 Jahre in seiner Gewalt hatte. Ich öffne alle Fenster und erst als der Nikotingeruch nachlässt werde ich wieder ruhiger.

Zu Hause ziehe ich komplett frische Sachen an. Danach starte ich meinen Laptop und höre mir in Ruhe den Rough-Mix von Der Sonne entgegen an. Der Sound hat etwas synthetisches. Das Schlagzeug ist technisch perfekt und der Gesang ist besser als ich gedacht hatte. Aber der Song berührt mich nicht.
Wenn ich an die Aufnahmen mit Martin und Martinello denke: das ist musikalisches Soulfood. Und dieser Aufnahme fehlt irgendwie die Seele. Das ist nicht Amely Day….