10. Februar
Vor ein paar Wochen haben wir im Kreis der Familie den 78. Geburtstag meiner Mutter gefeiert. Mein Geschenk: eine Einladung zum Karpfen essen, verbunden mit einem Tagesausflug in unsere Alte Heimat, nach Forchheim. Damit habe ich voll gepunktet und nachdem wir vergangenes Wochenende noch einmal miteinander telefoniert hatten, haben wir den heutigen Tag für den gemeinsamen Ausflug festgelegt.
Pünktlich um 10 Uhr starten wir unsere Heimat-Tour. Die Autobahn ist relativ frei und eine Stunde später sind wir bereits in Forchheim.
Wir fahren durch ein riesiges Gewerbegebiet das mich an die größeren Städte wie Bamberg im Norden oder Nürnberg im Süden erinnert, aber nicht an mein kleines Forchheim dass damals außer einem Einkaufszentrum keine weiteren Gewerbebetriebe außerhalb des Zentrums hatte.

Erst auf der Äußeren Nürnberger Straße wird mir mein Geburtsort wieder vertraut. Wir kommen am Schwimmbad vorbei an dem ich die legendäre Schlägerei mit einem Jungen hatte, der zu Hause noch einmal Prügel von seinem Vater bezog weil er den Kampf gegen mich verloren hatte.
Wir kommen an der Pizzeria meines Cousin vorbei, den ich seit über 20 Jahren, seit das Gerücht in meiner Verwandtschaft gestreut wurde, ich würde ihn nur besuchen um dort Gratis zu essen, nicht mehr gesehen habe. Das hatte mich so sehr getroffen, dass ich bis heute keinen Fuss mehr in seine Pizzeria setzen konnte.

Wir überqueren die Wiesent mit ihren Fischkästen in der Nähe der Hundsbrücke die den Fischhändlern früher zur Aufbewahrung der gefangenen Fische diente. Würden wir dem Flusslauf nach rechtes folgen, kämen wir zum Sportverein Jahn Forchheim. Dem traurigsten Kapitel meiner Kindheit und Jugend.
Ich wollte und konnte nie der Sportler werden den mein Vater sich immer gewünscht hatte. Ich habe einfach mehr künstlerische Talente und so habe ich mich durch die verschiedensten Abteilungen des Vereins gequält und in allen Disziplinen kläglich versagt. Es war ein dauerhaftes Schämen für meine schlechten Leistungen und ich habe damals schon mit Frustfressen am Kühlschrank versucht die seelischen Schmerzen zu kompensieren.

Ich mache meinen Eltern keine Vorwürfe mehr. Ich glaube ich habe damit aufgehört als meine Schwestern ihre Kinder zur Welt brachten und ich miterleben durfte wie schwierig es ist, Talente bei den eigenen Kindern zu erkennen und zu fördern. Und meine Eltern haben mein musikalisches Interesse auch gefördert. Auf dem Akkordeon durfte ich Stücke aus der Klassischen Musik erlernen und als ich von meiner Tante die Gitarre meines Cousins geschenkt bekommen habe, erhielt ich Gitarrenunterricht von einem Jungen der damals bei uns mit im Haus wohnte.

Am Paradeplatz verlassen wir das Zentrum in Richtung Bahnhof und kommen von dort auf die Adenauerallee. Am alten Gaswerk, bekannt als Die Gas, erzählt mir meine Mutter dass der Besitzer dort zusätzlich eine Knochenbrennerei zur Herstellung von Fetten und Leimen betrieb und dass es damals immer penetrant stank wenn man an der Fabrik vorbeigelaufen ist.
Auch ich erinnere mich daran, dass es in meiner Jugend immer ein wenig ekelig roch wenn man daran vorbei fuhr, aber das war bei weitem nicht so intensiv wie noch vor über 50 Jahren.
Wir bleiben auf der Adenaueralle und biegen an der Kreuzung die nach Links wieder ins Zentrum führen würde nach Rechts ab und verlassen Forchheim auf der Bamberger Straße Richtung Eggolsheim.

Das Auge vom Karpfen
So langsam bekommen wir Hunger. Als wir an Lilys Asian Food Bistro vorbeikommen erinnern wir uns daran, dass hier Anfang der 70er Jahre Forchheims erste Pizzeria eröffnet hatte. Meine Lieblingspizza war die „Vier Jahreszeiten“ die man daran erkannte dass jeweils ein Viertel der Pizza mit Schinkenwürfeln, Paprikastreifen, Salamischeiben und Champignons belegt war.
Ich habe immer zuerst das Viertel mit der Salami gegessen weil ich das am wenigsten mochte. Danach die Paprikastreifen, den Schinken und zuletzt die Champignons. Jahre später habe ich die Calzone für mich entdeckte und ab diesem Tag gab es auf viele Jahre hinaus nichts anderes mehr für mich beim Italiener.

Zum Karpfen essen sind wir früher immer nach Buckenhofen in den Gasthof Zur Sonne gefahren. Dort gab es die besten Karpfen. DLG-Prämiert mit Kartoffelsalat aus dem 10-kg-Eimer und die Zutaten für den kleinen Beilagensalat kamen aus 5-kg-Konservendosen. Wir haben das damals geliebt.
„Weißt du noch, wenn früher dein Opa und dein Onkel dabei waren haben wir immer gewettet wer es sich traut das Auge vom Karpfen zu essen“ erzählt mein Vater während wir im Brauerei-Gasthof Pfister in Weigelhofen in der Speisekarte blättern.
„Ich erinnere mich. Und meine Schwestern haben sich immer geekelt.“

Wir bestellen zweimal Karpfen und für mich das Karpfenfilet. So gerne ich das Fleisch vom Karpfen esse so empfindlich bin ich wenn es um Gräten geht. Selbst Fischstäbchen, wenn sie nicht von Iglo sind, werden beim Essen von mir seziert.
Dann ist es soweit. Die Bedienung kommt mit zwei Tellern auf denen jeweils ein riesiger Karpfen liegt. Die Augen meiner Eltern beginnen vor Freude zu strahlen. Der Gesichtsausdruck erinnert an Geburtstage an denen man ein lang ersehntes Geschenk auspackt von dem man gar nicht mehr geglaubt hat dass man es doch noch bekommt. Ein unbeschreiblich schöner Moment.

Ein wundervoller Feelgood-Tag
Am Nachmittag fahren wir zum Alten Friedhof. Wir besuchen unser Familiengrab. Ich rede in Gedanken mit meinen beiden Opas und meinen beiden Omas und bedanke mich bei ihnen dass sie auf mich aufpassen. Sie sind meine Schutzengel. Und meine Schutzengel sind mir wichtiger als das ganze Kirchengedöns.
Mit dem Wetter haben wir richtig Glück. Ab und an kommt die Sonne raus und wir bummeln vom Paradeplatz, in dessen Nähe ich das Auto geparkt habe, durch die Innenstadt. Es existieren kaum noch Geschäfte aus der Zeit als wir hier gelebt haben und so erzählen wir uns von unseren Erinnerungen und Erlebnissen.

Zurück am Paradeplatz steuern wir unser letztes Ziel für heute an: das Café Schmitt. Hier haben sich meine Eltern kennengelernt. Hier in diesem kleinen Tageskaffee lausche ich ihren Geschichten die ich schon so oft gehört habe, weil sie meine Schwestern immer wieder hören wollten als wir noch alle zu Hause gewohnt haben und wir im Wohnzimmer auf dem Sofa zusammen saßen.

Ich sehe in ihre strahlenden Augen und spüre den gegenseitigen Respekt zweier sich noch immer liebenden Menschen. Und ich mag sie gut leiden. Eigentlich immer mehr, je besser ich sie kennenlerne. Und ich bin mir sicher, dass wir diesen wundervollen Feelgood-Tag bald wiederholen werden….