Siehst du im Spiegel dein Leben,
dann schau genau hin.
Kopf in den Sand und verstecken
ergibt keinen Sinn.
© Amely Day – Der Sonne entgegen
13. Januar
Ich denke viel über Veränderung nach und weiß nicht wo ich anfangen soll. Vielleicht hilft es wenn ich in meiner Wohnung beginne. Ich könnte das Umstellen der Möbel, das ich mir seit längerem gedanklich immer wieder vorstelle, einmal zu Papier bringen.
Wenn ich die Wohnung genau ausmesse und die Möbel in entsprechendem Maßstab dort einzeichne wo ich sie mir zukünftig vorstelle, könnte ich sehen ob es tatsächlich so aussieht wie ich mir das vorgestellt habe und ob es funktionieren würde. Jetzt gilt es nur noch den Konjunktiv 2 würde, könnte, müsste in Modalverben können, mögen und wollen umzuwandeln.
Das passt alles perfekt
Mit einem 2 Meter langen Zollstock beginne ich den Grundriss meiner Wohnung zu vermessen und im Maßstab 1:300 auf einen Zeichenblock zu übertragen. Es erinnert mich an die Zeit als ich nach der siebten Klasse vom Gymnasium auf die Realschule wechselte. Dort hatte ich ein Jahr lang das Unterrichtsfach: Technisches Zeichnen. Ich kapitulierte nach diesem Schuljahr, da genaues und konzentriertes arbeiten nicht mein Ding war und ich damals bereits meine Stärken mehr im kreativen Bereich sah.
Und genau aus diesem Grund messe ich alles zwei- bis dreimal nach, damit mir kein Fehler unterläuft. Die Vorstellung dass ich beim Umräumen der Möbel irgendwann feststellen muss, dass ich aufgrund einer klitzekleinen Messungenauigkeit die Türe zum Balkon nicht mehrt öffnen kann weil das Sofa sich nicht weiter in den Raum schieben lässt, schreckt mich doch sehr.

Nachdem der Grundriss der Wohnung fertig gezeichnet ist und alle Türen, Fenster, Nischen und Raumteiler dreimal nachgemessen wurden vermesse ich die Möbel und zeichne sie an ihrem neuen Platz in den Wohnungsplan.
Ich beginne mit dem Sofa das im rechten Winkel zur Wand ein Stück vor der Fensterfront zum Balkon endet und ich bei geöffneter Balkontür noch einen Zentimeter freien Raum zum Sofa habe. Im Anschluß zeichne ich die beiden Schrankelemente die vorne an der Zimmertüre beginnen und an der rechten Wand zum Sofa führen. Zwischen Schrank und Sofa sollte jetzt noch Platz für den Schreibtisch sein, dann wäre der schwierigste Teil geschafft.
Ich messe den Schreibtisch und zeichne ihn in den Plan. Ich messe noch einmal nach. Danach erneut den Schrank. Und anschließend noch einmal das Sofa. Die Maße stimmen. Das passt alles perfekt. Das passt wie man so schön sagt: auf den Millimeter.
Ein Video für meine Schwester
Während der Kaffee durch die Maschine läuft öffne ich meinen Laptop. Ich scrolle in der Timeline der Foto-App ein wenig zurück, weil ich nachsehen möchte wann ich mit dem Aufzeichnen meiner Songideen begonnen habe. Das älteste Video das ich finde wurde im Juli vergangenen Jahres aufgenommen. Es ist aber keine Aufzeichnung einer Songskizze, sondern ein Video das ich für eine meiner Schwestern aufgenommen habe. Es zeigt mich mit Basecap und 3-D Brille. Ich singe zu einem Karaoke Playback „Happy Birthday“ und entschuldige mich anschließend dafür, ihren Geburtstag vergessen zu haben.
Das Video wurde 9 Tage nach ihrem Geburtstag aufgenommen und 21 Tage bevor ich wegen stechenden Schmerzen in der Brust zum Arzt gegangen bin und mit der Diagnose Burnout krank geschrieben wurde. Die Erinnerungen die mir durch den Kopf jagen lassen mein kleines Stimmungshoch in den Keller rauschen.
Ich klicke das nächste Video an und die aller erste Songidee die ich am 18. August um 16.01 Uhr aufgenommen habe ist tatsächlich ein Blues. Wie passend! Ich lache während mir die Tränen über die Wangen rollen.

Eine gefühlte halbe Stunde später starte ich noch einmal das Video mit der bluesigen Songskizze und beginne auf meiner Gitarre ein Solo dazu zu improvisieren. Der Song schwingt in meinem Kopf und versucht mir seine Geschichte zu erzählen. Die Strophen klingen nach…
Siehst du im Spiegel dein Leben dann schau genau hin
Kopf in den Sand und verstecken ergibt keinen Sinn
di dada di dada di dada …verdammt, wie geht’s weiter. Ich zapple mit den Füßen als würde ich eine Double-Bassdrum bearbeiten. Dann beginne ich mit den Fingern den Rhythmus auf der Gitarrendecke und der Zarge zu klopfen und wiederhole immer wieder die ersten beiden Zeilen. Nichts. Ende-Gelände.
Die Strophe besteht aus vier Zeilen. Ich wiederhole die ersten beiden und singe den Refrain in meinem Pseudo-Englisch. Der Refrain hat eine andere Stimmung…
Immer der Sonne entgegen
Tränen auf nassem Gesicht
du musst dich wieder bewegen
hin zum Licht
Das passt total gut! Strophe und Refrain ergeben einen Sinn. Ich spiele den doppelten Zweizeiler mit dem Refrain in Dauerschleife. Der kalte Kaffee wirkt belebend und bis zum Abend sind alle Strophen fertig.

Glücklich und zufrieden mit dem Ergebnis gönne ich mir meine Lieblingspizza und sehe mir beim Essen Das Perfekte Dinner auf VOX an. Während eine der Gastgeberinnen dem Kamerateam ihr riesiges Haus und die gigantische Küche zeigt, die in ihren Maßen der Grundfläche meiner Wohnung entspricht, kann ich bereits in meinem Kopf den Song, mit kompletter Band gespielt, hören.
Wenn sich jetzt noch mein Kopfradio zu einem Kopfkino umwandeln ließe könnte ich wahrscheinlich schon die Gesichter meiner Bandmitglieder sehen. Ergo die restlichen Musiker neben meinen Wunschmusikern am Bass und an der Sologitarre: Martinello und Martin….