3. Wir steh’n hinter dir

Alles was du tust machst du allein,
für alle deine Fehler stehst du ein….
© Amely Day – Wir steh’n hinter dir

13. Dezember

Ich liebe es beim Fernsehen gedankenverloren auf der Gitarre irgendwelche Akkordfolgen zu spielen, unterschiedliche Rhythmen anzuschlagen, verschiedene Zupfmuster dazu auszuprobieren und darüber mit einem Fantasie-Englisch zu singen. Das Fernsehprogramm funktioniert dabei wie eine Droge die mich in eine Art Trance-Zustand versetzt.

Meistens spiele ich irgendwelche langweiligen und ausgenudelten Akkordfolgen bis aus den unbewusst gespielten Variationen ein Riff oder eine interessante Melodie mit einem Ohrwurm-Refrain entsteht. Dann reist mich helle Begeisterung aus meinem Delirium und ich aktiviere die Videofunktion an meinem iPhone und nehme das eben entstandene auf.

So sind in den letzten vier Monaten, seit mein Arzt mir empfohlen hat nur Dinge zu tun die mir Spaß machen, bereits über 30 Songideen entstanden. Eine ganze Menge, wie ich finde. Das Material würde locker für drei CD´s reichen. Jetzt muss ich nur noch für jede Songidee einen Text schreiben….

Danach war die Stimmung im Eimer

Richtig begonnen mit dem Songwriting habe ich irgendwann in den 80er Jahren. Ich war ständig hoffnungslos verliebt und weil mein Anhimmeln nicht bemerkt und mein heimliches Hoffen nicht erkannt wurde, schrieb ich Songs darüber die ich niemandem vorgespielt habe und so mein musikalisches Werben und Leiden ungehört blieb.

Neben diesen melancholischen Lieben-und-Leiden-Songs schrieb ich über Themen wie Drogensucht und Jugendkriminalität, die mir unbewusst zuflogen und ebenfalls nicht wirklich partytauglich waren.

Bei einer Grillfeier eines guten Bekannten wollte ich ein Mädchen beeindrucken und erzählte ihr von meinen eigenen Songs die ich auf der Gitarre komponiere, als mein Bekannter dazukam und erwähnte dass eine Gitarre bei ihm im Arbeitszimmer liegt. Das Mädchen drängte mich die Gitarre zu holen um ein paar von meinen Songs zu spielen und so kam es zu meiner ersten und vorerst letzten Live-Performance.

Ich begann mit meinem Lieblingsstück Marlene und weil ich damals alle Stücke in englischer Sprache schrieb, erklärte ich einleitend wovon dieser Song handelt.…

„Der erste Song erzählt von einem Vater der nach der Geburt seiner Tochter Marlene sein Kind in den Armen hält und sich Gedanken über die Zukunft macht, weil die Mutter des Kindes bei der Geburt gestorben ist“

….dann habe ich den Song gespielt. Und danach war die Stimmung der Grillfeier im Eimer. Dafür haben sich ein paar Interessierte um mich versammelt um mit mir darüber zu sprechen wie ich auf diesen Text gekommen bin. Das Mädchen das ich beeindrucken wollte war natürlich nicht mit dabei….

Ein komisches Gefühl

Als ich dieses Jahr im September wieder mit dem Texten für eigene Songs begonnen habe wollte ich wieder in englischer Sprache schreiben. Ich hatte für einen Song auch schon die erste Textzeile: Standing on my shoulder, see the world above my head. Aber irgendwie hatte ich so ein Gefühl dass meine Englischkenntnisse nicht ausreichen würden um mit dieser genialen Textzeile einen komplett starken Song zu schreiben.

Mit deutschen Texten hatte ich zwar kaum Erfahrung, erinnerte mich aber daran dass der Song Wo du bist den ich vor zwei Jahren, als ich mit meinem Bandscheibenvorfall zur Reha war, bei meiner jungen Zimmernachbarin und meinem Reha-Bruder Friedl super gut ankam.

Für heute habe ich mir vorgenommen an einer Songidee zu arbeiten die ich vor vier Wochen aufgenommen habe. Ich greife zur Gitarre, spiele die Akkorde und summe die Melodie dazu. Immer und immer wieder in der Hoffnung dass mir die Melodie das Thema und die Geschichte zum Song erzählt.

Während ich spiele kreisen meine Gedanken um meinen Job. Schemenhafte Erinnerungen, Fragmente und plötzlich entstehen die ersten Zeilen. Ich beginne das Thema von verschiedenen Seiten zu betrachten und es kommen weitere Textzeilen dazu. Immer wieder unterbreche ich und spiele das bereits Geschriebene auf der Gitarre.

Die fertigen Teile passen perfekt zu den ersten drei gleichlaufenden Melodiebögen. Dann kommt ein Wechsel und hier fehlen noch die passenden Textzeilen.

Ich koche mir eine Kanne Indischer Holi, einen Tee benannt nach dem indischen Fest der Farben. Während ich auf das Sprudeln des Wassers warte, singe ich die vorhandenen Textzeilen und habe eine Idee für den zweiten Teil der Strophe:
Sieh durch mich hindurch, da steht ´ne Arme,
es sind Freunde die dir sagen es ist ok.

Ich schreib es auf, spiel es und dann hab ich ihn, den Refrain:
Wir sind hier und wir steh´n hinter dir.

Ich singe und spiele den Refrain immer wieder. Das ist so gewaltig, so emotional, das Wasser schießt mir aus den Augen. Mein Herz pocht…rast…der ganze Körper zuckt wie wild….

Ich lege die Gitarre zur Seite und während das Wasser für meinen Tee zu sprudeln beginnt, spüre ich in mich hinein. Ein komisches Gefühl. So leer. So leicht. So glücklich….

(Anfang verpasst?)