18. Januar
„Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen Sonnenschein, lala lala lala lala …“ ich singe lautstark diesen alten Schlager aus den 70ern, während ich die Rolladen hochkurble und die Sonnenstrahlen mit jedem Zentimeter den die Lamellen nach oben fahren, an meinem Bein hoch wandern. Ich bin so gut gelaunt weil ich von gestern noch die Schneebilder in meinem Kopf habe und spüre, dass der heutige Tag wieder genauso schön werden wird. Nur eben ganz anders.
Nach dem Duschen beginne ich mit meinen Pilates Übungen zur Kräftigung meiner Bauchmuskulatur. Ich rolle dafür meine Trainingsmatte über die kalten Bodenfliesen, lege mir ein zusammengelegtes Handtuch zur Entlastung für den Kopf auf eine Stirnseite und warte auf die Anweisungen meiner Trainerin. Diese bekomme ich per Video, das ich auf dem YouTube-Kanal Happy and Fit unter dem Titel Pilates Mittelstufe gefunden habe.
Ich muss hier raus
Seit ich gelernt habe, dass die untere Bauchmuskulatur zur Stabilisierung der Wirbelsäule mit beiträgt, habe ich kaum noch Rückenprobleme. Die Übungen mache ich zweimal pro Woche und weil ich heute so mega motiviert bin und auch das Thema Bewegung eine wichtige Rolle für mein gesundheitliches Wohlergehen spielt, laufe ich anschließend zum Frühstücken zur Backstube Rösner.
Ich genieße es hier in einer ruhigen Ecke zu sitzen und die Leute die draußen vorbeilaufen zu beobachten. Es geht mir gut. Und das schon seit Tagen. Das liegt bestimmt an meinem Weichspül-Umfeld. Alle sind lieb und nett. Kein Druck. Kein Stress. Kein Streit. Das ist nicht die Realität….

Ich esse gerade die letzte Brötchenhälfte die ich, wie immer mit Salami und dem Deko-Salatblatt belegt habe, als mir Fragen durch den Kopf tickern….hatte ich nicht eben erst in das Brötchen mit Nutella gebissen? Wann habe ich die beiden Brötchenhälften mit Schinken und Käse gegessen? Ich werde immer unruhiger und fühle mich beobachtet. Irgend etwas stimmt gerade nicht. Ich muss hier raus….
Ich finde deine Stimme gut
Zu Hause ist wieder alles in Ordnung. Ich nehme meine Gitarre und weil ich weil Martin später noch vorbeikommen will, spiele ich noch einmal meine selbstkomponierten Songs durch. Beim Refrain von Schöner Tag fange ich an zu weinen. Nur ganz kurz, dann habe ich mich wieder im Griff. Das darf mir nachher nicht passieren.
Martin ist pünktlich. Wir stimmen unsere Gitarren und ich erzähle ihm die Story zum ersten Song Warum. Dann fange ich an zu spielen und Martin steigt sofort mit ein. Die kleinen Fill Ins und das Solo klingen so harmonisch als hätten wir das Stück schon viele Male geprobt. Martin gefällt der Song und mir sein Gitarrenspiel. Das gleiche wiederholt sich bei Schöner Tag und Der Sonne entgegen.

„Was hast du mit deinen Songs vor?“ fragt mich Martin.
„Ich möchte die Songs auf die Bühne bringen. Für das Bandprojekt habe ich sogar schon einen Namen: Amely Day….ich habe den Namen bei einer Internet-Recherche auf irgend einer Seite gelesen und weil er sich in meinen Gedanken festgesetzt hatte, habe ich ihn in mein Notizbuch geschrieben. Ich finde der Name klingt interessant.“
„Hat eine sehr angenehme Tonalität.“
„Was die rhythmische Unterstützung betrifft habe ich noch keine konkrete Vorstellung ob die vom Schlagzeug oder über ein Cajon kommt. Ich weiß nur sicher, dass ich neben einem Bassisten unbedingt noch einen Sänger benötige. Mit meiner Stimme geht das nicht. Ich kann nicht singen.“
„Ich finde deine Stimme gut. Sie passt zu deinen Songs.“
Ich muss schmunzeln.
„Am Bass hätte ich sehr gerne den Martinello. Er spielt seinen Bass so wie du deine Gitarre….einfach aus dem Bauch heraus. Das wäre für meine Songs ideal. Was meinst du dazu?“
„Der Martinello wäre bestimmt der Richtige. Ich sehe ihn am Donnerstag, da proben wir mit Tamara. Ich kann ihn fragen.“
„Das wäre echt super!“

Wir spielen noch Zuviel wir und Deine Tattoos und weil ich zu ausführlich von der Entstehung des Songs während meines spontanen Türkei Urlaubs erzähle, schaffen wir nicht mehr Wir steh´n hinter dir zu spielen. Wir müssen los um es rechtzeitig ins Central Kino zu schaffen. Dennoch bin ich total zufrieden. Martin ist für mich der ideale Gitarrist und Martinello wäre der perfekte Bassist für meine Songs.
Irren ist männlich
Im Foyer des Central Kinos stehen wir einsam und verlassen und erfahren nach einem Blick ins Programmheft dass der Film erst in einer Stunde beginnt.
„Irren ist männlich“ sage ich und schmunzle über meinen uralt Kalauer.
„Wollen wir einen Kaffee trinken?“
„Ja, gerne.“
„Was ist eigentlich mit deinen Songs die wir beim letzten Mal zusammen gespielt haben?“ frage ich Martin.
„Ich müsste daran weiter arbeiten. Aber irgendwie fehlt mir die Zeit dazu.“
Auf dem Rückweg überlegen wir, ob wir in einer Stunde noch einmal einen Anlauf nehmen wollen, entscheiden uns aber dagegen. Wieder zu Hause sitze ich auf meinem Sofa und ich spüre das guerilla-mäßige Anschleichen übler Gedanken die einen vernichtenden Anschlag auf meine Gute-Laune-Vibes planen.
Es geht mir gut. Ich hatte wieder einen schönen Tag. Nur eine kleine Panikattacke. Ich war nur einmal beim Pissen. Ich verspüre kein ungezügeltes Verlangen den Kühlschrank leer zu futtern. Ich bleibe hier sitzen und genieße die Stille. Ich habe Angst….